Samstag, 30. August 2025

Globale Klimaanlage vor dem Zusammenbruch?

 

Die atlantische meridionale Umwälzzirkulation (Amoc) ist ein wichtiger Bestandteil des globalen Klimasystems. Sie bringt sonnenerwärmtes tropisches Wasser nach Europa und in die Arktis. Dort kühlt es ab, sinkt in die Tiefe und strömt zurück. 

Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass der Zusammenbruch dieser kritischen atlantischen Strömung nicht mehr als unwahrscheinlich angesehen werden kann. Das würde den tropischen Regengürtel, auf den viele Millionen Menschen für den Anbau ihrer Nahrungsmittel angewiesen sind, verschieben, Westeuropa in extrem kalte Winter und sommerliche Dürren stürzen und den ohnehin steigenden Meeresspiegel um 50 cm erhöhen. Der Kipppunkt, ab dem der Zusammenbruch dieser Strömung unaufhaltsam wäre, könnte bereits in einigen Jahrzehnten erreicht sein. Etwa 50 bis 100 Jahre danach würde diese globale Klimaanlage ihren Betrieb dann endgültig einstellen.

Die gute Nachricht: Durch eine internationales, rasches und entschlossenes Kappen unserer klimaschädlichen Emissionen wäre dieses Szenario sehr wahrscheinlich noch vermeidbar.

https://www.theguardian.com/environment/2025/aug/28/collapse-critical-atlantic-current-amoc-no-longer-low-likelihood-study
https://www.theguardian.com/environment/2024/oct/23/we-dont-know-where-the-tipping-point-is-climate-expert-on-potential-collapse-of-atlantic-circulation

Informationsfreiheitsgesetz bringt Licht ins Dunkel!

Für das nun in Kraft tretende österreichische Informationsfreiheitsgesetz (IFG) waren langjährige Debatten und intensive Verhandlungen mit politischen Parteien, der Zivilgesellschaft und der Verwaltung notwendig.  Es stellt einen Paradigmenwechsel vom Amtsgeheimnis zur Informationsfreiheit dar und verpflichtet die österreichische Verwaltung zu Transparenz und Bürgernähe. Das IFG fußt auf zwei Grundsäulen: der proaktiven Veröffentlichung von Informationen im elektronischen Informationsregister (data.gv.at) und dem rechtlich verankerten Antragsrecht auf Zugang zu spezifischen Informationen. Eine Ausnahme von der proaktiven Verpflichtung gibt es nur für kleine Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern, ansonsten gilt das Prinzip der maximalen Offenheit.

Ohne den langjährigen und konsequenten politischen Einsatz der Grünen, die die treibende Kraft und Motor dieser Entwicklung waren, wäre das Informationsfreiheitsgesetz in dieser Form nicht zustande gekommen. Sie setzten sich über viele Jahre hinweg – sowohl aus der Opposition als auch aus der Regierung heraus – für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und ein Grundrecht auf Information ein und haben sich auch für eine proaktive Veröffentlichungspflicht und Verbesserungen im parlamentarischen Anfragewesen eingesetzt. Durch ihren Einfluss wurden weitere Verbesserungen wie die Streichung pauschaler Geheimhaltungsgründe und die stärkere Einbindung öffentlicher Unternehmen ins Gesetz aufgenommen. Grüne Spitzenpolitiker wie Werner Kogler und Sigrid Maurer spielten öffentlichkeitswirksam eine zentrale Rolle und waren maßgeblich an den Gesetzesverhandlungen beteiligt. Mit Überzeugungsarbeit sowohl innerhalb der Koalition als auch gegenüber der Opposition – insbesondere der SPÖ – setzten die Grünen sich durch, auch um die notwendige Verfassungsmehrheit im Nationalrat zu erreichen. 

„Lernen Sie Geschichte!“
Die Amtsverschwiegenheit wurde 1925 mit einer Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) eingeführt und prägte seitdem den Umgang mit staatlichen Informationen in Österreich.  Zwischen 1987 und 1990 wurde die Auskunftspflicht im B-VG verankert, später entstanden elf Auskunftspflichtgesetze auf Bundes- und Landesebene. Die Diskussion um Informationsfreiheit gewann in den 2010er Jahren an Fahrt, und ab 2020, also nach dem Eintritt der Grünen in die Bundesregierung, wurden zielgerichtet Reformschritte gesetzt. 

Im Juni 2020 fand der erste „Runde Tisch“ mit Stakeholdern zur Reform statt. Nach einer öffentlichen Begutachtung des Ministerialentwurfs und mehr als 80 Verhandlungsrunden wurde der Regierungsentwurf am 5. Oktober 2023 präsentiert und beschlossen. Die notwendige Verfassungsmehrheit wurde am 20. Dezember 2023 erreicht und es folgten Expertenanhörungen und Beschlüsse im Verfassungsausschuss und im Nationalrat im Januar 2024. Am 26. Februar 2024 wurde das Gesetz kundgemacht (BGBl. I Nr. 5/2024) und tritt am 1. September 2025 in Kraft.

Quellen und weitere Informationen:
https://www.digitalaustria.gv.at/wissenswertes/news/news-66.html
https://www.fwp.at/news/blog/das-informationsfreiheitsgesetz-adieu-amtsgeheimnis-willkommen-recht-auf-information
https://www.rubicon.eu/rubicon-blog/informationsfreiheitsgesetz-ifg-in-oesterreich-umsetzung-in-der-praxis/

Siehe dazu auch:
https://gruenebiedermannsdorf.blogspot.com/2023/03/der-noch-lange-weg-zum.html
https://gruenebiedermannsdorf.blogspot.com/2024/03/aus-dem-parlament-amtsgeheimnis-ade.html
 

Lieber 10 Milliarden jährlich zahlen als die Umwelt schützen?

Zeigt der jetzt von Umweltminister Totschnig vorgelegte Entwurf eines Klimaschutzgesetzes wirksame und mutige Vorschläge auf? Oder ist er ein ambitions- und visionsloser Vorschlag, der nur versucht, kommende Probleme mit viel administrativem Aufwand zu verwalten? Würden die Folgen heutigen Nichthandelns verantwortungslos unseren Kindern und Enkeln umgehängt? Und würde der jetzige Entwurf neben ökologischen Schäden auch zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen?

Die ÖVP möchte offenbar lieber jährlich Milliarden Euro an Strafzahlungen ans Ausland zahlen, als das Notwendige umzusetzen. Was notwendig ist, war bereits Anfang 2020 bekannt. Damals hatten sich ÖVP und Grüne in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf geeinigt, ein neues Klimaschutzgesetz zu erarbeiten, da das bestehende Klimaschutzgesetz Ende 2020 auslief. Im Koalitionsvertrag war auch das Ziel fixiert, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen.

2021 wurde vom damals grün geführten Klimaschutzministerium ein entsprechender Entwurf vorgelegt. Dieser sah vor, entsprechend der Koalitionsvereinbarung bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 48 % zu reduzieren (ausgehend von 2005), verbindliche Sektorziele festzulegen, ein regelmäßiges Monitoring und Wirksamkeitskontrollen durchzuführen, Zuständigkeiten für die Treibhausgasreduktion zu definieren und aus fossilen Energien auszusteigen, wobei ein klares Ausstiegsdatum für Öl und Gas festgelegt wurde. Um die Klimaziele zu sichern, wurde auch der internationale Handel mit Emissionszertifikaten ausgeschlossen. Hätte sich abgezeichnet, dass die Klimaziele verfehlt werden, hätte der Bund rasch wirksame Klimaschutzmaßnahmen beschließen und in letzter Konsequenz die Steuer auf fossile Energie drastisch erhöhen müssen. Die daraus resultierenden Einnahmen wären in einen Zukunftsinvestitionsfonds geflossen, der wiederum Klimaschutzmaßnahmen im Inland finanziert hätte.

Jedes erfolgreiche Unternehmen definiert zu einem Ziel auch einen Zielpfad mit terminisierten Zwischenzielen sowie Kontroll- und Korrekturmechanismen. Jeder erfolgreiche Manager weiß, dass dies die wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung sind. Dieses Wissen war zweifellos auch in der ÖVP, die sich gerne Wirtschaftskompetenz zuschreibt, ebenso wie im Wirtschaftsbund und in der Industriellenvereinigung vorhanden. Und obwohl der damalige Entwurf dieser Strategie folgte, rückte Karlheinz Kopf, der damals dienstälteste ÖVP-Abgeordnete im Parlament und Generalsekretär der Wirtschaftskammer, umgehend aus, um das Vorhaben zu torpedieren. Er bezeichnete den Entwurf aus dem von den Grünen geführten Klimaschutzministerium als „ideologiegetriebene Bestrafungsfantasie”. Bis zum Ende der Koalition gelang kein Kompromiss, da sich die ÖVP und die Wirtschaftsvertreter gegen alle wirksamen Maßnahmen sträubten.

Das verantwortungslose Desinteresse der ÖVP an wirksamen Umweltschutzmaßnahmen wurde wieder im Doppelbudget 2025/26 der neuen Regierung deutlich. Darin entfällt rund ein Drittel der gesamten Sparlast auf den Klimabereich. Klimafreundliches Verhalten (zum Beispiel Heizungstausch oder E-Mobilität) wurde verteuert, während klimaschädliche Förderungen erhalten blieben und mit der Verdreifachung der Pendlerpauschale sowie der NoVA-Befreiung für Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotor sogar noch erweitert wurden.

Der von Umweltminister Totschnig vorgelegte Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes ist kaum mehr als ein zahnloser Plüschtiger. Das noch im schwarz-rot-pinken Koalitionsprogramm festgelegte Klimaziel für das Jahr 2040 kommt darin gar nicht mehr vor, alle Eckpunkte des früheren Entwurfs wurden ersatzlos gestrichen. Stattdessen will Totschnig die EU-Vorgabe, die Emissionen im Vergleich zu 2005 bis 2030 um 48 Prozent zu senken, durch eine „Steuerungsgruppe“ zur Koordination der Klimapolitik erreichen. Und diese „Steuerungsgruppe“ soll beileibe keine kleine, effiziente Organisation sein. In ihr sollen neben einer Beamtenebene auf Regierungsebene das Umwelt-, das Finanz-, das Verkehrs- und das Wirtschaftsministerium sowie der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz vertreten sein.  Die „Steuerungsgruppe” soll einen wissenschaftlichen Klimabeirat bestellen, der die Bundesregierung „weisungsfrei und unabhängig” beraten soll. Die Verantwortung für die Klimapolitik wäre damit auf viele Schultern verteilt und völlig verwässert. 

Der von der „Steuerungsgruppe” bis Ende Oktober 2026 auszuarbeitende „Klimafahrplan“ soll zwar "kosteneffiziente, wirksame Maßnahmen des Bundes und der Länder" für jeden Sektor - vom Verkehr über Gebäude bis zur Landwirtschaft - enthalten. Aber er soll nur unverbindlich festschreiben, wie viele Tonnen klimaschädliche Gase jeder Sektor jährlich in die Luft blasen darf. Anstatt die eigentlichen Umweltprobleme anzugehen, hätte die „Steuerungsgruppe“ im Falle der Verfehlung der von der EU vorgegebenen Klimaziele der Bundesregierung „Optionen für den Ankauf von Klimaschutz-Zertifikaten“ vorzuschlagen. Laut einem Bericht der Kommunalkredit Public Consulting ist jedoch zu erwarten, dass viele Staaten solche Ausgleichszertifikate benötigen werden und die Nachfrage das potenzielle Angebot um den Faktor elf übersteigen könnte. Diese Knappheit könnte den Preis für Klimazertifikate für uns auf 5,9 Milliarden Euro jährlich hochtreiben. Dazu kämen aber noch Kosten durch versäumter Klimaschutzmaßnahmen. Diese wurden bereits in einem Bericht des WIFO im Auftrag des Klimaministeriums für das Jahr 2024 mit  5,4 bis sieben Milliarden Euro im Jahr beziffert – Tendenz steigend. Die selbsternannte Wirtschaftspartei will also ein lästiges Problem, das durch ihre Untätigkeit laufend größer wird, lösen, indem sie es mit viel Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zuschüttet. 

Mit seinem ambitions- und visionslosen Vorschlag würde der Umweltminister im (wahrscheinlichen) Fall des Scheiterns seiner Umweltpolitik die Verantwortung auf viele Schultern abwälzen. Die negativen Folgen seines Nichthandelns hätten unsere Kinder und Enkel sowie die Umwelt zu tragen.

Weitere Infos:
Klimapolitik: Die heiße Kartoffel in Totschnigs Händen
Der ÖVP ist das Klima genauso egal wie das Geld der Steuerzahler
Klimagesetz: 2040-Ziel fehlt, "Strafzahlungen" werden vorbereitet 

Freitag, 29. August 2025

Link-Kisterl KW 35


Mitmachen:

  • Luftdaten.at ist eine unabhängige österreichische Forschungs- und Umweltorganisation mit dem Ziel, Bürger:innen die Möglichkeit zu geben, selbstständig ihre persönliche Umwelt beforschen  und Faktoren wie Luftqualität oder Hitze sichtbar machen zu können. Einen Überblick über das Sensornetz und die aktuellen Ergebnisse sehen Sie hier: 
  • Öl- und Gaskonzerne, die Atomlobby und andere mächtige Konzerne gehen gegen NGOs wie etwa Greenpeace immer häufiger mit SLAPP-Klagen vor und schüchtern diese mit absurd hohen Strafdrohungen ein; erst unlängst hat sogar der rumänische Energieminister nach einem solchen Skandal-Urteil in den USA dazu aufgerufen, Umweltorganisationen maximal zu verklagen. Dagegen hat die EU jetzt eine Richtlinie gegen Einschüchterungsklagen erlassen, und mit Ihrer Unterschrift unter dieser Petition können Sie dazu beitragen, dass diese rasch umgesetzt wird. 

Lesen:

  • Im Innenministerium (BMI) spielt bei Postenbesetzungen nicht nur die Qualifikation eine Rolle – sondern auch der politische Stallgeruch.  
  • Die Außenministerin ist für eine Verteidigungsunion mit einem gemeinsamen militärischen Kommando. Die FPÖ schäumt, der Kanzler duckt sich weg. 
  • In Österreich stammt nur ein Bruchteil des Steueraufkommens von vermögensbezogenen Einnahmen. In Ländern wie der Schweiz ist die Quote viel höher, dennoch gibt es dort deutlich mehr Millionäre. 
  • Dazu passt auch dieser Artikel im Guardian.
  • Eine detaillierte, aber trotzdem leicht zu lesende Anqalyse der Auswirkungen des Zoll-Deals zwischen der Eu und den USA lesen Sie hier: 
  • TikTok passt sich dem Nutzerverhalten so schnell an, dass aus wenigen Klicks eine ganze toxische Blase entsteht, die man als Verstärkeranlage für Empörung, Hass und Polarisierung bezeichnen könnte. 
  • So lange es attraktiver für viele Medizinabsolventen ist, nach dem vom Staat Österreich bezahlten Studium ins Ausland zu wechseln, so lange Ärzte von Kassenstellen ins Wahlarztsystem frei wechseln können, ist die leidige Diskussion um die Erhöhung von Studienplätzen müßig. Es müssen Strukturen wie das Wahlarztsystem, die die allgemeine Kassenversorgung der Bevölkerung aushebeln, geändert werden, um sowohl Patienten, als auch Ärzten und der Volksgesundheit zu dienen. 
  • Dafür, dass Österreich das militärisch unsicherste Land der EU bleibt, riskieren wir viel Geld und die übliche Korruption für die Aufrüstung des Bundesheeres. Zu einem Artikel von P.M. Lingens 
  • Exotische Stechmücken treten auch bei uns immer häufiger auf. Wie groß ist die Gefahr, dadurch an Krankheiten wie Chikungunya, Dengue und West-Nil-Fieber zu erkranken, wirklich? 
  • Der Fall von etwa 2000 Fahrschüler, die in Vorarlberg aus nicht nachvollziehbaren Gründen bei der Führerscheinprüfung durchgefallen sind, hat möglicherweise einen Fall von Korruption ins Rollen gebracht, in den auch Richter und Staatsanwälte verwickelt sein könnten. 
  • Daniel Kehlmann über die Verurteilung von Florian Scheuba. Im Grunde ist das Urteil viel beängstigender als ich bisher wahr haben wollte. 
  • In Finnland gibts Medien-Bildung schon ab dem Kindergarten, wodurch junge Finn:innen Fake News im Internet besser erkennen. Laut dem European Media Literacy Index liegt Finnland seit Jahren europaweit auf Platz 1, wenn es um die Medienkompetenz seiner Bürger:innen geht, und die Menschen in Finnland haben mehr Vertrauen in heimische Medien als anderswo in Europa. 

Hören:

  • Die Smartwatch des am 20. Oktober 2023 verstorbenen Sektionschefs Christian Pilnacek war das einzige elektronische Gerät, das Pilnacek in der Nacht seines Todes bei sich hatte. Nachdem das Landeskriminalamt Niederösterreich im Rahmen seiner Ermittlungen zu den Todesumständen Pilnaceks darauf keine relevanten Daten gefunden hatte, fand nun die WKStA Indizien dafür, dass die Uhr in der Nacht des 20. Oktober in Reichweite anderer bluetoothfähiger Geräte war und auch nach Pilnaceks Tod noch Aktivitäten aufzeichnete, die sich mit der bisherigen Aktenlage nicht in Einklang bringen lassen. 
  • Ob Peter Filzmaier einen Einbürgerungstest bestehen würde und warum nicht nur Migranten „Integration“ bräuchten erfahren Sie in diesem Podcast.
  • In der Ukraine und im Nahen Osten müsse Europa im eigenen Interesse entschiedener auftreten – das verlangt die deutsche Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament. Das Gespräch, das am Rande des European Forum Alpbach 2025 stattfand, können Sie hier nachhören.  

Anschauen:

  • Wer eine hochqualitative Diskussion über Überschätzung, Chancen und Risken Künstlicher Intelligenz anschauen und dafür 90 Minuten Zeit gut investieren will, ist bei diesem „Philosophischem Forum“ richtig.  

Belohnung für hinterher:

Sonntag, 24. August 2025

Ein Sparbudget als Mittel zum Machterhalt?

 

Warum heißt es regelmäßig: „Wir müssen sparen“, also Ausgaben kürzen, wenn das BIP schrumpft oder die Inflation steigt ? Meistens sind davon Sozialausgaben wie Bildung, Arbeitslosengeld oder das Gesundheitssystem betroffen, während die Steuern für Unternehmen häufig gesenkt werden.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Clara Mattei ist der Meinung, dass das Ziel der Austeritätspolitik nie in der Sanierung des Budgets bestand. Ginge es dabei tatsächlich darum, wäre die Austeritätspolitik fast nie erfolgreich gewesen, denn es widerspricht allen gängigen Wirtschaftstheorien, bei schrumpfender Wirtschaft die staatlichen Investitionen weiter zurückzufahren. Vielmehr handle es sich dabei um ein spezifisches Projekt, mit dem Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten und die Verhandlungsmacht der arbeitenden Bevölkerung begrenzt werden.  Austeritätspolitik ist demnach ein aktives politisches Handeln, das eine Demokratisierung der Wirtschaft verhindert und eine Umverteilung der Ressourcen von unten nach oben bewirkt.

Clara Mattei hat bei ihren Untersuchungen festgestellt, dass es nach dem Ersten Weltkrieg einen kritischen Punkt in der Geschichte des Kapitalismus gab. Die Menschen begannen zu verstehen, dass das herrschende ökonomische System kein Naturgesetz ist. Sie stellten es infrage und organisierten sich in großem Ausmaß. Es gab ernsthafte Bestrebungen, kapitalistische Dogmen abzuschaffen. Fabriken wurden besetzt und die Vergesellschaftung ganzer Industriezweige diskutiert. Und in Großbritannien gab es genossenschaftlich organisierte Baugilden.

Dies veranlasste die wirtschaftliche Elite und Politiker, sich zu fragen, was sie dagegen unternehmen könnten. Die Wirtschaft sollte entpolitisiert werden. Zu diesem Zweck wurden unabhängige Zentralbanken geschaffen, die Gewerkschaften geschwächt und durch die Zinspolitik die Arbeitslosigkeit erhöht. Dass diese Strategie noch immer aktuell ist, zeigt sich an den Aussagen des Finanzministers unter Bill Clinton. Er forderte eine höhere Arbeitslosigkeit, damit die Löhne nicht mehr so stark steigen und die Inflation sinkt. Ähnliches hat 2023 auch Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank, gesagt. Zwar ist eine abkühlende Konjunktur schlecht für Profite, aber aus Systemperspektive ist es wichtiger, die Klassenverhältnisse zu stabilisieren.

Laut Clara Mattei gibt es auch eine Verbindung zwischen der von liberalen Ökonomen erfundenen Austerität und dem Faschismus. In der Zwischenkriegszeit standen liberale Ökonomen in Italien, das sich bereits auf dem Weg zum Faschismus befand, Mussolini beratend zur Seite. Sie sprachen ausdrücklich davon, dass es eine starke Führung brauche, um die revoltierenden Massen in Zaum zu halten und die herrschende Ordnung zu sichern.  Einflussreiche Ökonomen waren der Meinung, dass politische Ökonomen dann gut sind, wenn sie Menschen zähmen können.  Die Regierung verbot Gewerkschaften und politische Streiks und entmachtete so die Arbeiter. In Deutschland forderten Vertreter großer Industrie-, Bank- und Landwirtschaftsunternehmen Reichspräsident Hindenburg durch die „Industrielleneingabe“ im November 1932 auf, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Nach dessen Machtergreifung im Januar 1933 gab es massive finanzielle Unterstützung durch die Großindustrie, etwa beim Geheimtreffen vom 20. Februar 1933, bei dem mehrere Millionen Reichsmark für die NSDAP zugesagt wurden. Diese sogenannte Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft war, zusammen mit deren Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und deren Präferenz für ein autoritäres System, ein wesentlicher Beitrag zur Konsolidierung der NS-Herrschaft.

Clara Mattei ist Professorin für Ökonomie am Center for Heterodox Economics (CHE) der Universität Tulsa und leitet das Forum for Real Economic Emancipation.

https://www.pressreader.com/austria/der-standard/20250821/281741275517885
https://gruenebiedermannsdorf.blogspot.com/2023/07/ruckkehr-zum-sparbudget.html

Freitag, 22. August 2025

Link-Kisterl KW 34

 

Gut zu wissen:

  • Nicht zu wissen, was gelbe Linien am Fahrbahnrand bedeuten, kann finanzielle Folgen haben. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr:

Lesen:

  • Die Psychiaterin Heidi Kastner meint, Dummheit sei gefährlich, da sie emotional gesteuert, unberechenbar und schädlicher als Kriminalität sein kann, und dass Social Media den kritischen Diskurs ersetzt und eine Meinungsbildung fördert, die auf der eigenen Wahrnehmung, aber oft nicht auf Fakten beruht. Wenn in einer Demokratie immer mehr Menschen sich nicht informieren oder etwas Vorgekautes aus fragwürdigen Social Media-Auftritten nachplappern, und diese uninformierten Personen irgendwann die Mehrheit stellen, wird es schwierig für Andere, die die Mehrheitsmeinung hinnehmen müssen.  
  • Ein kalkulierter Sager, die Empörungswelle rollt, und was als Gegenwehr gemeint ist, wirkt oft wie ein Verstärker, der Schritt für Schritt die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Doch es gibt Wege, der Empörungspolitik den Nährboden zu entziehen:
  • Was wirklich zählt oder zählen sollte - darüber macht sich Karl Wagner in diesem Blogbeitrag Gedanken:
  • Rechtsanwältin Sandra Navidi erklärt, wie elitäre Netzwerke um Donald Trump die USA regieren, ruinieren und die Macht an sich reißen. 
  • Die Gletscher-Verbindung am Dachstein hält nur noch wenig Wochen und ist dann für immer weg. Wie mein Bruder sagte: "Ab ins SUV und dieses Wochenende schnell noch anschauen…"
  • Online-Bewertungen gehören zu den wichtigsten Kaufkriterien, deshalb sind sie zu einem milliardenschweren Markt für Manipulationen geworden. Denn schon eine halbe Stern-Steigerung auf Google, zum Beispiel von 4 auf 4,5 Sterne, kann den Umsatz eines Restaurants oder Händlers um bis zu neun Prozent erhöhen. 
  • Der Arsenal Football Club (Arsenal London) hat ein 630 Millionen Dollar Sponsoringangebot von Elon Musk abgelehnt und will damit ein Zeichen gegen Gier, Rassismus und Ausbeutung durch Unternehmen setzen. 
  • Kiruna hat die Kirche nicht im Dorf gelassen – sondern die ganze Kirche mit einer speziellen Transportkonstruktion 5 km an einen neuen Standort transportiert. Aber nicht nur die Kirche ist betroffen, das ganze Ortszentrum muss dem Bergbau weichen und wird verlegt.

Anhören:

  • Steuergeld spielt in der Forschungsfinanzierung in Österreich eine zentrale Rolle, aber was haben eigentlich der Steuerzahler und die Steuerzahlerin davon? Wer verdient am wissenschaftlichen Publizieren, wer sind die großen Player, wem gehört das Copyright an den Fachaufsätzen – das erfahren Sie in diesem Podcast.

Belohnung für hinterher:

Donnerstag, 21. August 2025

1200 Millionen Euro durch Steuerbetrug verloren?

 

Der durch den Cum-Ex-Skandal verursachte Steuerschaden in Österreich belief sich Schätzungen der an der Aufklärung des Falls maßgeblich beteiligten Rechercheplattform „Corrective“ zufolge auf etwa 1,2 Milliarden Euro. Weltweit wurden durch den Cum-Ex-Skandal und vergleichbare, steuergetriebene Aktiengeschäfte nach aktuellen journalistischen und wissenschaftlichen Schätzungen mindestens 150 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen. Diese Zahl umfasst neben Cum-Ex auch Cum-Cum und ähnliche Modelle. Hanno Berger, der jahrzehntelang zu den renommiertesten Steuerrechtsanwälten der Bundesrepublik zählte, gilt als Initiator der CumEx-Geschäfte. Der Steuerbetrug erfolgte durch die missbräuchliche Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuer, auf die in dieser Form kein Anspruch bestand. Eigentlich sollten Cum-Ex-Geschäfte längst der Vergangenheit angehören, doch: Mit anderen Methoden läuft der Steuerbetrug weiter.

Der Schaden betrifft vor allem europäische Länder: Deutschland ist mit geschätzten 36 Milliarden Euro am stärksten betroffen, gefolgt von Frankreich mit 33,4 Milliarden Euro, den Niederlanden mit 27 Milliarden Euro, der Schweiz mit 4,8 Milliarden Euro und Österreich mit 1,2 Milliarden Euro. Aber auch weitere Staaten weltweit sind betroffen. Die genannten 150 Milliarden Euro gelten dabei als konservative Schätzung – der tatsächliche Gesamtschaden könnte also noch höher ausgefallen sein. Die Dimension dieses Steuerbetrugs ist damit weltweit beispiellos und hat weitreichende Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte vieler Länder.

Das österreichische Finanzministerium und der Rechnungshof beziffern den Schaden allerdings nur auf insgesamt 180 bis 187 Millionen Euro.  Der Großteil dieses Betrags ist für den österreichischen Staat faktisch verloren. Bis August 2025 gibt es in diesem Fall keine rechtskräftigen Verurteilungen. Die WKStA hat jüngst ihre Ermittlungen im Cum-Ex-Skandal auf mittlerweile 30 Personen und 15 Unternehmen ausgedehnt.

Ein Interview mit Anne Brorhilker war der Anlass, wieder über diesen Fall zu berichten. Anne Brorhilker war Deutschlands bekannteste Cum-Ex-Staatsanwältin. Elf Jahre lang ermittelte sie federführend gegen Cum-Ex. Vor einem Jahr hörte sie auf, da sie am politischen Willen zur Aufklärung des Steuerskandals zweifelte, verzichtete auf ihr Beamtengehalt und ihre Pensionsansprüche und wechselte zur NGO Finanzwende. In diesem Artikel beschreibt sie die Anfänge der Cum-Ex-Ermittlungen und nennt auch diejenigen, die ihrer Meinung nach den Kampf gegen Finanzkriminalität behindern.

Weitere Infos und Quellen:
https://gruenebiedermannsdorf.blogspot.com/2018/11/cum-ex.html
https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/news/news/aktuelles/Rechnungshof_veroeffentlicht_drei_Follow-up-Berichte.html
https://www.fondsprofessionell.at/news/maerkte/headline/cum-ex-skandal-45-verdaechtige-in-oesterreich-202057/
https://de.statista.com/infografik/26036/geschaetzter-steuerverlust-durch-cum-cum-und-cum-ex/
https://correctiv.org/top-stories/2021/10/21/cumex-files-2/
https://de.wikipedia.org/wiki/CumEx-Files