Sonntag, 13. Dezember 2020

Utopien - Rezepte für die Zukunft

Wir haben ein Problem mit der Mobilität. Wir glauben, wenn wir mehr e-Autos, besseren öffentlichen Verkehr und mehr Autobahnen hätten, wäre das Problem gelöst.

Wir haben ein Problem mit Flucht und Migration. Wir glauben, wenn wir einen Deal mit der Türkei machen und garstig zu denen sind, die es bis zu uns geschafft haben, löst das unser Problem.

Wir haben ein Problem mit Klimaveränderung und Umweltverschmutzung. Wir glauben, wenn wir die Wirtschaft dekarbonisieren, fleißig CO2-Zertifikate kaufen, weniger Plastiksäcke verwenden und Pfand auf PET-Flaschen einheben, wäre das Problem gelöst.

Aber unsere eigentlichen Probleme sind im weitesten Sinn Beziehungsprobleme, auch etwa unsere Beziehung zur Natur, zu kommenden Generationen und beschränkten Ressourcen. Solche Probleme sind aber nicht technisch lösbar, eigentlich überhaupt nicht lösbar, sondern können nur  kontinuierlich verringert werden.

Unsere derzeitige Art, im Problem-Lösungs- Schema zu denken, versperrt uns den Blick auf die dahinter liegenden gesellschaftlichen Aspekte. Wir diskutieren nicht darüber, ob und wie unsere  isolierten, technische Problemlösungen uns dabei helfen können, Ideen für eine zukünftige Gesellschaft zu entwickeln und die Annäherung an eine solche Gesellschaft zu fördern. Uns fehlt ein Bild, wie eine solche zukünftige Gesellschaft, für die sich große Teile der Bevölkerung begeistern und an deren Verwirklichung sie sich beteiligen wollen, überhaupt aussehen soll.

Wir brauchen Utopien, um Rezepte für die Zukunft finden zu können.

Hier finden Sie ein sehenswertes Gespräch zwischen Richard David Precht und Harald Welzer.

Freitag, 4. Dezember 2020

Entschlossenheit und Zusammenarbeit in Zeiten von Corona

Lernen aus der Corona-Krise?

Praktisch allen Regierungen haben angesichts der Corona-Krise innerhalb kürzester Zeit wirklich umwälzende Regelungen auf den Weg gebracht und unglaubliche Geldmengen dafür locker gemacht. Da wurden Dinge möglich, die wir uns vor einem Jahr nicht im entferntesten vorstellen konnten. Aber warum ist ein ähnlich entschlossenes Handeln angesichts anderer Krisen, beispielsweise des  Klimawandels, nicht einmal in Ansätzen zu bemerken? Ist der Klimawandel so viel harmloser als Corona, um diese Zurückhaltung zu erklären? Wohl nicht, eher im Gegenteil.

In der Bewältigung der Corona-Krise setzen alle erfolgreichen Strategien auf Kooperation, nicht auf Konkurrenz. Das hat auch Bundeskanzler Kurz klar ausgesprochen: „In der Krise müssen die Menschen zusammenstehen.“ Auch etwa die kooperative, gemeinsame Beschaffung und faire Verteilung von Covid-19 Impfstoffen durch die EU funktioniert da und verhindert so, dass die zahlungskräftigsten Länder den Markt leerkaufen und ärmere Staaten ihre Bevölkerung nicht oder erst sehr viel später impfen können.

Warum soll Kooperation nur in der Corona-Krise gut sein? Internationale Kooperation werden wir auch zur Bewältigung des Klimawandels dringend brauchen. Solange es nur um schöne Deklarationen und allgemein gehaltene Konzepte geht, funktioniert die Kooperation zwischen den Staaten, aber auch zwischen den Interessenvertretungen innerhalb der einzelnen Nationalstaaten ja noch mehr oder weniger. Aber vollends aus ist es mit der Kooperation, sobald es um wirklich handfeste gesetzliche Regelungen und deren Durchsetzung geht. Da spielen dann Machtinteressen, Wettbewerbsvorteile und Konkurrenz die dominierende Rolle, und das Austarieren von Interessengegensätzen ist auf einmal unendlich schwierig.

In diesem Video spricht Christian Felber über wirtschaftliche Folgen und Lehren aus der Covid-19 Pandemie.

Dienstag, 1. Dezember 2020

Freie Wahl?

Kleine Landwirte (und in Österreich sind, im EU- und im internationalen Maßstab die allermeisten Landwirte klein), insbesondere solche, die umweltschonend, nachhaltig und vielleicht biologisch produzieren, haben gegenüber dem globalen Lebensmittelhandel, der industriellen Nahrungsmittelproduktion und gegenüber der Einkaufsmacht großer Supermarktketten einen extrem schweren Stand. Tiere werden zwischen dem Ort ihrer Geburt, ihrer Mast und ihrer Schlachtung hin und her gekarrt, Dünger, Futtermittel, aber auch Obst, Gemüse, Käse, Joghurt oder Fleisch werden quer um die Welt geschippert, Erntehelfer arbeiten unter sklavenartigen Arbeitsbedingungen in Südeuropa. Die rücksichtslose Ausbeutung von Menschen, Tieren, der Natur und von Rohstoffen finden in den Preisen keinen Niederschlag. Und dagegen sollen sich dann die Produkte kleinerer, nachhaltig produzierender Landwirte durchsetzen?

Besonders Bergbauern in ungünstigen Lagen haben besonders zu kämpfen. Dabei ist ihre Arbeit auch als Erhalter unserer Bergwiesen und Almen, unserer Kulturlandschaft, in der wir gerne Wandern und unseren Urlaub verbringen, extrem wichtig. Sie ist wichtig, um ein Zuwachsen von Wiesen oder ein Abrutschen von fruchtbarem Boden bei Starkregen oder der Schneeschmelze zu verhindern. Sie ist wichtig, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. Und sie ist wichtig, um das Wissen zu erhalten, mit welchen Tierrassen und Pflanzensorten, mit welchen Arbeitsmethoden eine nachhaltige Landwirtschaft mit der Natur und nicht gegen sie möglich ist. Dafür erhalten sie zwar spezielle Förderungen, aber insgesamt führt das dazu, dass sie den Großteil ihres Einkommens nicht aus dem Verkauf ihrer Produkte, sondern aus diesen Subventionen erzielen und so noch abhängiger von Situationen  werden, die sie nicht beeinflussen können.

Wenn es darum geht, solche lokalen, schonend arbeitende Landwirte zu unterstützen, hört man oft, es läge an der Macht der Konsumenten, dies im Lebensmittelgeschäft durch ihre Kaufentscheidung zu tun. Das ist sicher ein wichtiger Punkt für den individuellen Bewusstseinswandel und ein nachahmenswertes Beispiel. Aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die „freie Wahl aufgeklärter Konsumenten“ allein wird an der Benachteiligung der kleinen, naturschonend arbeitenden Landwirte nichts ändern können.

Denn die „freie Wahl“ der Konsumenten im Supermarkt existiert nicht, so lange für viele Menschen der Preis von Lebensmitteln eine entscheidende Rolle spielt. Die ungleichen Preise zwischen Lebensmitteln aus Massenproduktion oder Biolandwirtschaft (obwohl die Unterschiede nicht so groß sind wie oft behauptet) kommen daher, dass der vielbeschworene „freie“ Markt eben nicht frei ist. Er wird durch die Globalisierung, durch unfaire Förderungen, ungleiche Umwelt- und Sozialstandards und durch Vergesellschaftung von Umweltkosten massiv verzerrt. Wie der jüngste Fall Christian Bachlers zeigt, ist die ohnehin ungenügende Subventionierung kleinstrukturierter Landwirtschaft als Landschaftspfleger und -erhalter, die kleine Bauern in die totale Abhängigkeit treibt, der falsche Weg. Vielmehr gehörte global der Ressourcenverbrauch der großindustriellen Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion entsprechend bepreist und Chancen- und Kostengleichheit auf diesem Weg hergestellt. Und wo das global nicht geht, dann eben mit Umweltzöllen, um die umgangenen Umwelt- und Sozialkosten auf diese Art abzuschöpfen. Siehe dazu auch hier und hier. Abschließende Hintergrundinformationen zum Fall Bachler gibt es hier.

Etwa 3,7 Prozent aller Erwerbstätigen arbeiten in Österreich in der Landwirtschaft. Ihr direkter politischer Einfluss ist entsprechend winzig, und er bliebe auch gering, selbst wenn sich die Bauern an den Wahlurnen von einem falsch verstandenen Konservativismus befreien könnten. Dem gegenüber haben die schwarz/türkis dominierten Landwirtschaftskammern und die Lobbyisten der Agrar- und Lebensmittelindustrie einen vielfach größeren Einfluss. Allein hier wird schon erkennbar, wer jetzt an der Landwirtschaft die Gewinner und wer die Verlierer sind.

Ja, wir, die Endverbraucher haben schon eine Wahl: Bei jeder Gelegenheit an der Wahlurne, und auch zwischendurch können wir im Rahmen unserer individuellen Möglichkeiten Druck auf die Politik machen, um die Spielregeln zu ändern. Und wir können, auch wenn das allein nicht viel hilft, im Geschäft trotzdem lokal und naturschonend erzeugten Lebensmitteln den Vorzug geben.