Freitag, 29. Juni 2018

Sozialunion versus Wirtschaftsunion

Gestern: Spannnende Diskussion zum Thema Sozialunion versus Wirtschaftsunion mit Stephan Schulmeister und Michel Reimon unter der Moderation von Teresa Arrieta, basierend auf Schulmeisters neuem Buch „Der Weg zur Prosperität“.

Stephan Schulmeister beschrieb, wie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die innerhalb einer sozialen Marktwirtschaft austarierte Balance durch die Entfesselung der Finanzmärkte ausgehebelt wurde und sich das Profitstreben immer mehr von der Real- auf die Finanzwirtschaft verlagert hat. Friedrich v. Hayek hat mit seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ die „Bibel“ des Neoliberalismus geschrieben. Für ihn bestand die „Knechtschaft“ in der Einengung der Unternehmer durch den Sozialstaat. Folgerichtig schlug er die Abschaffung aller Sozialsysteme vor. Freiheit könne nur in einer reinen Marktwirtschaft existieren.

Sehr geschickt wurde, zunächst von der Öffentlichkeit und den Vertretern des Sozialstaates unbemerkt, der akademische Bereich mit diesem Gedankengut unterwandert. Als dann laufend Absolventen der Wirtschaftswissenschaften ins Berufsleben eintraten und höhere Positionen erlangten, wurde begonnen, nicht zuletzt durch intensives Lobbying dieses Konzept schrittweise umzusetzen. Zwischen den einzelnen Ländern, auch innerhalb der EU und des Euro-Raumes, entstand ein immer schärferer Standortwettbewerb. Mit diesem wirtschaftlichen Nationalismus förderte der Neoliberalismus auch das Erstarken allgemein nationalen bis rechtsextremen Gedankengutes. Und er förderte das nicht nur indirekt, sondern bedient sich heute aktiv solcher Strömungen zum weiteren Sozialabbau, um seine wirtschaftlichen Interessen noch besser durchsetzen zu können. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere derzeitige Regierungskoalition.

Michel Reimon erläuterte, wie dadurch das Gründungsprinzip der EU, nämlich Handel und Wirtschaft mit einem effektiven Sozialsystem zu verbinden, immer mehr geschwächt wurde. Damit einher ging auch eine Schwächung der Bereitschaft, innerhalb der EU zum Wohl der Bevölkerung zusammenzuarbeiten. Die Mehrheit der Bevölkerung sei gegen den Abbau von Sozialleistungen, dieser schweigenden Mehrheit stünden aber jene gegenüber, die „Wir sind das Volk“ rufen oder propagieren.

Schulmeister beschrieb dann ein düsteres Zukunftsszenario: Der Sozialstaat wird weiter abgebaut, für die dadurch bedingte Verschlechterung der Lebensbedingungen der Menschen werden weiterhin Schuldige gesucht, ausgegrenzt und bekämpft. Nicht zuletzt durch die wirtschaftlichen Probleme Italiens und seine derzeitige nationalistische Regierung könne es zu einem vollständigen Zerfall der Währungsunion kommen, dessen Hauptverlierer Deutschland und andere Länder mit positiver Leistungsbilanz, also auch Österreich, wären.  Als positivere Variante beschrieb er, wenn vor allem Deutschland diese wirtschaftliche Gefährdung rechtzeitig erkennen und, wenn auch aus Eigeninteresse, entsprechend gegensteuern würde.

Um aus diesem Abwärtsstrudel zu entkommen, seien rein institutionelle Lösungen (wie etwa von Macron vorgeschlagen) zu wenig. Es bedürfe grundsätzlich einer Stärkung des Sozialstaates und einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, wie unsere Vision von einer solchen aussieht: Eine Gesellschaft, die von Marktautomatismen gesteuert wird und in der Politik und Einzelne keine Einflussmöglichkeiten mehr haben, oder in einer Gesellschaft, in der wir den Gestaltungsanspruch nicht aufgegeben haben, in der Wirtschaft kein Selbstzweck, sondern bloß ein Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschen ist.

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3 Kommentare:

  1. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte. War sicher interessant. Was aber Deutschland betrifft, weiß ich nicht, wo dort eine Fehlentwicklung rechtzeitig erkannt wurde. Die Deutschen überschwemmen den Markt mit ihrer billigen Ware, die sich die eigene Bevölkerung größtenteils nicht mehr leisten kann. 2014 kamen 81 % des Exportüberschusses der EU allein aus Deutschland. Es gibt dort Millionen Hartz-IV-EmpfängerInnen, die aber einen Job haben. Das muss man sich vorstellen. Einen Job haben und trotzdem Hartz-IV erhalten müssen. Also wo da irgendeine Erkenntnis sein soll, weiß ich nicht. Die AfD ist ein Zeichen des Versagens der Regierenden. Nicht erst seit heute.

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    1. Sorry, das war ein Tippfehler. Natürlich haben die Deutschen das noch nicht erkannt. Aber wenn sie es erkennen, könnte.....

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  2. schäuble, der mitbetreiber der austeritätspolitik, die mittels hrtz iv und druck auf die lohnabschlüsse einen niedriglohnsektor geschaffen hat, weiss ganz genau, was er getan hat. ebenso seine mitbetreiber. das politische mandat zur gegensteuerung fehlt. bzw es gibt zwar gute debatten dazu im bundestag, aber die politischen entscheidungen der parlamentarischen mehrheit bleiben auf schäuble linie. das thema asyl ist gut, weil ablenkung. und nicht vergessen: hartz iv wurde mit den stimmen der grünen verabschiedet. damals. ein sündenfall. wem hat es geholfen? dem deutschen kapital - zur akkumulation und globalen ausbreitung. die deutsche bank wollte helfen dabei - hat es wohl übertrieben.

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