Montag, 7. Oktober 2024

Über 80er auf A2, wie man "zu etwas steht" und Bürgerbeteiligung

 

Zunächst: dieser Artikel ist ein Etikettenschwindel. Um den 80er auf der Autobahn wird es nur nebenbei gehen.

 

"Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen."

--Walter Scheel

Die FDP ist keine Partei für die ich besondere Sympathien hege aber dieses Zitat des 4ten deutschen Bundespräsidenten hat sich für mich zum Leitmotiv meiner politischen Tätigkeit entwickelt. Es heißt nicht, dass man nicht zuhört. Es heißt nicht, dass man nicht Meinungen einholt. Aber in erster Linie sollte man eine klare Meinung entwickeln und für diese einstehen. Im Wettstreit der Ideen darf die Politikerin ihr Fähnchen nicht in den Wind hängen.

So betrachtet fand ich die Positionierung von Bürgermeister und Vizebürgermeister bei der Ankündigung einer Bürgerinnenbefragung zum 80er auf der A2 (hier nachzulesen) ausbaufähig.

140km/h fände man schon gut "aber nicht bei uns".
Man stellt richtig fest, dass es während der Baustelle (keine Lärmschutzwand aber 80er) deutlich leiser war aber will nirgends anecken und betont, dass es einem eigentlich egal sei.
Okay...

Seit dieser Aussendung habe ich viel über Bürgerinnenbeteilung nachgedacht. Und ich bin immer weniger begeistert von Bürgerinnenbefragungen. Ich denke es gibt bessere Instrumente, Bürgerinnen auch abseits von Wahlen eine laute Stimme zu verleihen. Aber dazu später mehr. Erst mal eine klare Positionierung.

Warum 80er auf der A2?

Als Faustregel kann man sagen, dass negative Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs (Bremsweg, CO2-, Feinstaub-, Schadstoff- und Lärmemission) quadratisch mit der Geschwindigkeit steigen. Oder (für die meisten) verständlicher: zB eine Verdoppelung der Geschwindigkeit halbiert die Reisedauer aber vervierfacht alle schlechten Auswirkungen.
Der Schaden für die Allgemeinheit/Anrainerinnen steigt schneller an als der Nutzen für die einzelne Reisende. Die Schlussfolgerung muss sein, Tempo raus zu nehmen wo immer es angebracht scheint.

Und hier scheint das sehr angebracht.

Die Autobahn führt durch recht dicht besiedeltes Gebiet (auf der Westseite deutlich dichter) und mit schöner Regelmäßigkeit liegen die Messungen der oben genannten negativen Auswirkungen über den Grenzwerten. Da geht es um unsere Gesundheit.
Und wie wir alle tagtäglich erleben, hat die Schallschutzmauer keine nennenswerte Reduktion gebracht.
Mit einer Reduktion von 130 auf 80km/h könnte man mit mindestens einer Halbierung aller schlechten Kennzahlen rechnen (vor allem weil die besonders schädliche Beschleunigungsphase nicht mehr auf Ortshöhe passiert).

Dem Gegenüber steht eine Zeitersparnis von ca 30 Sekunden für Reisende auf der A2 (ca 1:30 statt 2:00. Das ist aber eher ein theoretischer Wert. Bei höherem Tempo wird der Verkehr unruhiger. Es muss öfter gebremst werden).

In unseren Augen schlägt das Pendel der Interessenabwägung hier ganz klar Richtung 80er auf der A2 aus. Dafür sind wir in der Vergangenheit eingetreten. Dafür treten wir heute ein. Und dafür werden wir aller Voraussicht nach auch morgen eintreten.

(Ich werde mir erlauben, als wissenschaftliche Untermauerung der obigen Aussagen die fantastische Link-Sammlung einer Biedermannsdorfer Facebook-Nutzerin in die Kommentare zu kopieren)

Warum sollen Bürgerinnenbefragungen nicht gut sein?

Wie kann man nur etwas gegen Bürgerinnenbefragungen haben? Bin ich gegen Bürgerinnenbeteiligung? Nein. Ich glaube nur, dass Bürgerbefragungen einfach nicht so gut sind, wie man reflexartig glauben mag.

Lassen wir einmal die aktuelle Bürgerinnenbefragung außen vor. Die trägt einige Merkmale eines spontanen Schnellschusses (sie wurde übrigens eine Woche nachdem Karl Wagner das Thema im Umweltausschuss und auf Social Media wieder angestoßen hatte angekündigt. Könnte es sein, dass reden und fordern doch etwas bringt?). Und sie entwickelt sich leider zu einer Farce. Es kann mehrfach abgestimmt werden, nicht nur Biedermannsdorferinnen können abstimmen und mittlerweile zählen wir mehr abgegebene Stimmen als bei der Nationalratswahl (was für Online-Befragungen sehr sehr ungewöhnlich hoch ist).

Ganz allgemein betrachtet gelange ich mittlerweile zur Erkenntnis, dass Bürgerinnenbefragungen ein Werkzeug der Bürgerinnenbeteiligung sind das mit viel Bedacht und wahrscheinlich selten eingesetzt werden sollte. Was sind die Probleme die ich sehe?

  • Sie reduzieren das Problem auf eine simple Ja/Nein Frage.
    Was ist aber zB wenn ihr Standpunkt zum aktuellen Problem ist, dass ein 100er in unserem Bereich der beste Kompromiss wäre? Wie stimmen sie dann ab? Es gibt keine Möglichkeit diese oder alternative Lösungsvorschläge einzubringen. Die Möglichkeiten wurden bereits im Vorfeld von anderer Stelle festgelegt.
    Befragungen sind kein Ersatz für breite inhaltliche Auseinandersetzungen.
  • Sie verhärten die Fronten.
    Das folgt aus der Reduzierung. Sie können sich eines von zwei Lagern aussuchen. Dann sind sie entweder "eine von denen" oder "eine von denen". In den überhitzten Zeiten von Social Media finde ich es immer problematischer und kontraproduktiver die Bewohnerinnen eines Ortes auf diese Art und Weise "gegeneinander antreten" zu lassen.
  • Sie sind anfällig für Kampagnisierung.
    Bei Bürgerinnenbefragungen geht es nie nur darum wer die Mehrheit vertritt. Es geht auch (oder vor allem) darum welche Seite mehr aufregen kann. Es geht um einen Mobilisierungswettstreit.
  • Sie machen es den Bürgerinnen zu leicht . . .
    Das ist eine eher unpopuläre Meinung von mir ;) aber ich finde, dass man den Bürgerinnen etwas mehr abverlangen kann (und muss) als von zuhause gemütlich Clicktivismus zu betreiben.

Kurz: Bürgerinnenbefragungen neigen dazu die Diskussion zu überhitzen anstatt sie zu versachlichen. Und sie erzeugen eher Kampfabstimmungen als Konsens.

Wahrscheinlich kann man einigen dieser Probleme entgegen wirken. Aber dafür hätte die Befragung am Ende eines langen Prozesses stehen müssen und sollte nicht der Anfang sein (und sein wir uns ehrlich: von den Akteuren ist die konkrete Umfrage wahrscheinlich auch eher als Ende der Diskussion gedacht)

Naja und was gibt es besseres?

Bürgerinnenräte.

Ein zufällige gewählte Stichprobe aller Biedermannsdorferinnen (sagen wir zB 20 Menschen) wird eingeladen sich an einem Nachmittag zusammen zu setzen, miteinander zu diskutieren, Möglichkeiten aufzuzeigen und am Ende eine gemeinsame Stellungnahme an den Gemeinderat zu verfassen.
Diese Stellungnahme wäre nicht bindend (genau so wenig wie eine Befragung) aber als Politikerin müsste man schon sehr stringent erklären warum man sich gegen die Stellungnahme eines repräsentativen Bevölkerungsgremiums stellt.

Ich kann mir auch vorstellen, dass sich die Parteien dadurch einbringen den Teilnehmerinnen im Vorfeld Dossiers zur Verfügung zu stellen, die alle Fakten enthalten, die die Partei für relevant hält. Sie werden begutachtet und gewürdigt werden genau so wie frei verfügbare Informationen.

Von Bürgerinnenräten auf Bundesebene haben wir schon ein wenig gehört. In meinen Recherchen musste ich feststellen, dass solche Bürgerinnenräte in Vorarlberg auch auf kommunaler Ebene durchaus üblich und sogar in der Landesgesetzgebung verankert sind. Diese Verankerung braucht es aber nicht zwingend: in diesem Interview mit Bürgermeister Ulrich Burchardt habe ich gelernt, das die Stadt Konstanz (die vor einigen Jahren den Klimanotstand ausgerufen hat) sehr stark auf Bürgerinnenräte setzt um die Bürgerbeteiligung, Umsetzungskraft und Akzeptanz von Maßnahmen zu erhöhen.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen nämlich, dass die Empfehlungen von Bürgerinnenräten oft viel klarer und konsequenter sind als sich das Politikerinnen oft trauen würden. Und dass die Umsetzung dieser Empfehlung von der Bevölkerung viel besser mitgetragen wird, weil sie von ihnen kamen und nicht "von denen da oben".

Diese Idee ist noch nicht ausgegoren. Zu viele Fragezeichen gibt es noch was die konkrete Umsetzung in Biedermannsdorf angeht. Aber es ist sicherlich nicht das letzte mal, dass sie von mir etwas davon hören werden.
Denn in mir verfestigt sich die Überzeugung, dass Bürgerinnenräte auch auf kommunaler Ebene das bestgeeignete Mittel sind um lebendige Demokratie, Zufriedenheit mit der Politik und rege Bürgerinnenbeteiligung zu stärken und konsensuelle Entscheidungsfindungen zu fördern.
Zumindest besser als die "Simulation von Mitbestimmung" als die ich Befragungen zunehmend sehe.

 

Nachdem ich mit dem Zitat eines Deutschen begonnen habe, möchte ich auch mit dem Zitat eines anderen Deutschen enden.

"Kunst ist schön. Macht aber viel Arbeit."

-- Karl Valentin

Es ist anzunehmen, dass das auch für Bürgerinnenräte gilt. Aber nur abstimmen lassen reicht halt auch nicht.


-- Anmerkung am Rande --

Nein. Die Idee eines Bürgerrates habe ich noch nicht mit Bürgermeister oder Vizebürgermeister beredet. Sie kam mir erst kurz nach der Aussendung. Hätten sie uns damit nicht so überrumpelt, hätte ich die beiden sehr gerne daran teilhaben lassen.

-- Anmerkung 2 --

Nach einem fairen Münzwurf wurde dieser Artikel im generischen Femininum verfasst. Ist aber sicher auch wieder irgendwem nicht Recht.




10 Kommentare:

  1. Wie versprochen die Linksammlung einer Biedermannsdorfer Facebook-Nutzerin. Ich bitte von Copyright Klagen abzusehen ;)

    ### 1. **Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)**
    - **Thema**: Untersuchungen zur Auswirkung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Verkehrsfluss.
    - **Fazit**: Niedrigere Geschwindigkeiten führen zu einem gleichmäßigeren Verkehrsfluss und reduzieren Staus bei hoher Verkehrsdichte.
    - **Link**: (https://www.bast.de/)
    ### 2. **Phantomstau-Forschung**
    - **Thema**: Forschung zum Phantomstau zeigt, dass geringere Geschwindigkeiten die Häufigkeit von Staus reduzieren, die durch abruptes Bremsen entstehen.
    - **Fazit**: Bei niedrigeren Geschwindigkeiten verringern sich plötzliche Geschwindigkeitsänderungen, was zu einem stabileren Verkehrsfluss führt.
    - **Link**:](https://www.tomtom.com/traffic-index/)
    ### 3. **Verkehrsmodelle und Simulationen (Fundamentaldiagramm des Verkehrs)**
    - **Thema**: Das Fundamentaldiagramm des Verkehrs beschreibt den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit, Verkehrsdichte und Verkehrsfluss.
    - **Fazit**: Bei dichtem Verkehr optimieren niedrigere Geschwindigkeiten (80-100 km/h) den Verkehrsfluss und erhöhen die Straßenkapazität.
    - **Link**: (https://de.wikipedia.org/.../Fundamentaldiagramm_des...)
    ### 4. **Verkehrssicherheitsstudien (Deutscher Verkehrssicherheitsrat, DVR)**
    - **Thema**: Niedrigere Geschwindigkeiten führen zu weniger Unfällen und stabilerem Verkehrsfluss.
    - **Fazit**: Geschwindigkeitsbegrenzungen verbessern die Sicherheit und minimieren Verkehrsstörungen.
    - **Link**: (https://www.dvr.de/)
    ### 5. **Internationale Studien (OECD, Norwegen, Niederlande)**
    - **Thema**: Internationale Beispiele, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen zu einem besseren Verkehrsfluss führen.
    - **Fazit**: In Ländern wie Norwegen und den Niederlanden haben Begrenzungen auf 80-100 km/h nachweislich zu einem verbesserten Verkehrsfluss und weniger Staus geführt.
    - **Link**: (https://www.oecd.org/)

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  2. Etwas das ich im Artikel beiseite gelassen habe:
    Mich wundert wie Stil der ungekrönte König der populistischen Kampagnen im Ort ist. Seit er zu höheren Weihen berufen ist, ist er im Ort ziemlich inaktiv. Hätte gedacht er nutzt den Aufhänger um mit ein oder zwei Flugblättern von sich reden zu machen

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  3. Da fällt mir ein: es soll nach dem Bau eine Lärmmessung gegeben haben . . . Kann mich nicht erinnern, dass wir die (trotz mehrmaligem Nachbohren) jemals gesehen haben. Auch so eine Sache wo man sich ein wenig vertröstet vorkommt.
    Sollten wir im nächsten GR nochmal nachfragen...

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  4. Die Sache ist wirklich zum Nachdenken. Nicht die Zusammenhänge Lärm, Abgas, Verbrauch, Fundamentaldiagramm usw. - die sollte jeder, der Bürgerpolitik macht, ohnehin verinnerlicht haben.
    Aber ja - die Frage, was dieses "Ding" (dieses Ereignis) eigentlich ist. Und was es sein sollte und sein wird. Also ..
    Es ist eine "Befragung" und keine "Abstimmung". Das sind ja zwei verschiedene paar Schuhe in Vorgangsweise, Berechtigungen und Verpflichtungen. Aber das ist m.E. ja ohnehin außer Diskussion. So weit, so gut.
    "Befragen" darf man, wen man will - die Kollegen, die Familie daheim, die Bürger, sein Spiegelbild, das Internet, Fachleute und die Sterne. Das Fragen ist im Allgemeinen durchaus ratsam, aber damit beginnt die erste Unsicherheit: "Wen wollte ich befragen und wen habe ich wirklich befragt?" Es ist als "Bürgerbefragung" definiert, und das klingt auch nicht schlecht, weil bis auf die Sterne alle aus der obigen Aufzählung "Bürger" sind. Die einen da, die anderen dort, und andere anderswo. Keiner weiß, wer befragt wurde und wessen Meinung hier dargestellt wird.
    Also fragt man irgendwen mit irgendwelchen Interessen mit irgendeiner beliebigen Anzahl an Antwortmöglichkeiten und erhält ein Ergebnis, um daraus Entscheidungen abzuleiten. Kann man so machen - muss man aber nicht. Das liegt in der Verantwortung derjenigen, wenn sie das so vertreten wollen.

    Auf keinen Fall aber darf sich jemand hinstellen und sagen "Die Bürger aus Biedermannsdorf vertreten zu x% die Meinung A und zu y% die Meinung B." Das wäre eine schwere, unzulässige Fehlinterpretation dieser Befragungsergebnisse.

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  5. Nachtrag: Kann man als Bürger bzw. als im GR vertretene Gruppierung nicht direkt die Ergebnisse von Lärmmessungen anfordern? Open Government Data läßt grüßen.

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    1. Wir haben da leider nicht wirklich eine Handhabe. Natürlich haben wir immer wieder nachgewassert. Offiziell (immer nur unter "Allfälliges") und inoffiziell (einfach mal direkt nachgefragt). Haben nie etwas bekommen. Sehr mühsam und ärgerlich. Im nächsten Gemeinderat wird wohl die Abstimmung behandelt werden. Wäre eine Farce wenn wir da nicht auch die Lärmmessung zur Verfügung hätten und vielleicht klappt es ja diesmal . . .

      Mit "Open Governmet Data" spielen Sie auf das Informationsfreiheitsgesetz an? Das tritt leider erst im August 2025 in Kraft . . . wir erwarten es schon sehnlichst.

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    2. Gute Politik ist die Kunst des Gemeinwohls. Oder hat jedenfalls das Gemeinwohl zum Ziel.

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  6. Ich meinte das, was es jetzt schon gibt:
    https://www.data.gv.at/
    https://geometadatensuche.inspire.gv.at/metadatensuche/inspire/ger/catalog.search#/map
    https://www.data.gv.at/katalog/dataset/25be09e4-ed4d-4c26-bcab-8ce0dc97385b#resources
    Wenn es auch eine professionelle Messung nicht ersetzt, so kann man doch ein paar Puzzlesteine zum Thema zusammentragen.

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  7. Nachtrag 2: Auch das steht frei zur Verfügung https://www.asfinag.at/verkehr-sicherheit/verkehrszahlung/

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