Donnerstag, 31. Juli 2025

Unser Blick auf die Welt, Teil 1: Der Einfluss von Erzählungen

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Diese vier Wörter erzeugen in uns sofort Emotionen und eine Geschichte, die für uns Sinn ergibt. Vielleicht ist es die Geschichte einer Familie, die sich auf ein Kind freute und bereits eine Erstausstattung gekauft hatte, doch dann kam dieses Kind durch einen Schicksalsschlag nicht auf die Welt.


Oder: Menschen gehen mit verschiedenen Blicken durch den Wald. Da gibt es den Festmeterblick des Försters, der gleich abschätzt, wie viel Holz das bringt. Aber auch den Blick der Jäger oder der Pilzesammler, die auf irgendetwas aus sind. 

Unser Gehirn versucht unbewusst ständig, alle Informationen, die auf uns einströmen, daraufhin zu untersuchen, ob sie unseren Erwartungen entsprechen oder sich möglichst widerstandsfrei in unser Weltbild einfügen. Passen die Informationen zu unseren bisherigen Erfahrungen und fügen sich nahtlos in unser Weltbild ein, erzeugen sie keine unangenehmen Gefühle und festigen  unser Weltbild. Passen die Informationen jedoch nicht zu unseren Erwartungen, sind wir enttäuscht oder unzufrieden. Manchmal reagiert unser Gehirn sogar wie ein bockiges Pferd und weigert sich, eine von unserer Vorstellung abweichende Information als Teil der Realität aufzunehmen. Aber diese Geschichten sind Erzählungen der Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit selbst. Trotzdem beeinflussen sie unsere Meinungen und Entscheidungen bis hin zur Wirtschafts- und Klimapolitik.

Die Erzählung, dass jeder den sozialen Aufstieg schaffen kann, wenn er nur hart genug dafür arbeitet, ist attraktiv, denn sie scheint gerecht zu sein. Aus der Soziologie und der Volkswirtschaft wissen wir jedoch, dass es sich dabei um ein Märchen handelt. Doch die Hoffnung auf den sozialen Aufstieg hält die Produktivität der Menschen aufrecht und ist somit für das Funktionieren des kapitalistischen Systems essenziell. Diese Erzählung behauptet, Menschen seien selbst schuld, wenn sie am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehen. Und es erlaubt dann eher, Sozialleistungen zu reduzieren.

Wir reagieren gut auf Geschichten, die uns das Gefühl geben, dass es in Ordnung ist, wie wir sind und was wir haben. Wenn es um den Klimawandel geht, vermittelt uns die Erzählung „Wir dürfen den Wohlstand nicht gefährden” den Eindruck, dass ein Feind um die Ecke kommt, der uns das wegnehmen will, was wir uns hart erarbeitet haben. Und das im Austausch gegen das kaum greifbare Ziel der Nicht-Verschlimmerung der Welt. Konservative arbeiten mit der Angst machenden Erzählung, es drohe eine miserable Existenz ohne Komfort und Luxus, wodurch unser Jetzt plötzlich wahnsinnig attraktiv wirkt. Und reaktionäre Politik führt auch immer gern die Grünen als die Verbotsmenschen ins Feld, weil genau das im Kulturkampf triggert.

Dabei lässt sich für jede politische Ausrichtung eine Erzählung für den Kampf gegen die Klimakrise finden, auf die Menschen nicht mit Widerstand reagieren. Für Konservative, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, ist es ein Kampf, um die Natur zu bewahren. Für Sozialdemokraten ist es ein Kampf für Gerechtigkeit, denn von der Klimakrise sind besonders verletzliche Gruppen betroffen. Und für Liberale ist es ein Kampf für die Freiheit: Menschen sollen sich auch in Zukunft noch selbst entfalten können, statt in bürgerkriegsähnlichen Zuständen um Ressourcen zu kämpfen.

Die Publizistin Samira El Ouassil, die den Bestseller „Erzählende Affen“ gemeinsam mit dem Journalisten Friedemann Karig 2022 veröffentlicht hat, erklärt darin, was in der Klimakommunikation falsch läuft. Ein Interview mit ihr gibt es hier

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