Dienstag, 1. August 2017

Muss sich die Barmherzigkeit rechtfertigen?



Man stelle sich vor, in einer für mehrere tausend Personen zugelassenen Halle findet eine Veranstaltung statt. Es befinden sich 5000 Menschen darin, später kommen weitere zehn dazu.
Glaubt jemand im Ernst, das würde stören? Glaubt jemand im Ernst, es würden sich Verrückte finden, die behaupten, für die zehn wäre kein Platz mehr? Eben.
Das ist die Situation in der EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern und der einen Million Flüchtlinge aus 2015. Man sollte es nicht glauben, aber hier gibt es tatsächlich Verrückte, die sogar Angst haben vor diesen "Zehn"!
Eine Million von insgesamt 65,3 Millionen. Wovon sich übrigens 2,5 Millionen allein in der Türkei befinden.

Warum dieses lächerlich einfach zu lösende Problem in der EU unlösbar ist, ist rasch beantwortet: Es gibt nicht 27, sondern nur drei Staaten, die sich diese Million teilen. Nämlich Österreich, Deutschland und Schweden. Nur diese drei Staaten bewiesen in einer Notlage Tatkraft und Verantwortungsbewusstsein, was in erster Linie der Zivilbevölkerung zu danken ist.

Merkel war eine Helferin
Hätten diese drei Staaten nicht gehandelt, wäre es am Balkan und in Griechenland zu einer humanitären Katastrophe ersten Ranges gekommen. Merkels "wir schaffen das" hat diese Katastrophe abgewendet und keinesfalls provoziert wie das manche Unbedarfte behaupten.

Korrupte, verbrecherische Regierungen und unser Wirtschafssystem sind Kumpane
Dass in Afrika nach wie vor Menschen nach Europa aufbrechen, hat nichts mit Merkels Satz zu tun, aber alles mit den dortigen Zuständen. Herbeigeführt von afrikanischen Warlords, korrupten, verbrecherischen Regierungen in afrikanischen Ländern UND der europäischen Wirtschaftspolitik! dieses Trio-Infernal hat in den letzten Jahrzehnten den Klimawandel als einen starken Verbündeten dazugewonnen. Wird unser CO2-Ausstoß nicht massiv reduziert, ist bis 2050 mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen zu rechnen (Environmentmagazine: "Protecting climate refugees")

Angesichts dieser Aussicht ist das Gerede vom Schließen der Mittelmeerroute als Maßnahme gegen das Sterben nicht mehr als ein scheinheiliges Gefasel. Denn das Sterben beendet man so nicht, sondern verlagert es nur ins Landesinnere. Dann sterben eben mehr unter der Folter, werden erschossen oder verhungern und verdursten. Solange sich Europa nicht entschließt, die Fluchtursachen zu bekämpfen, solange wir hier im Land uns nicht entschließen, unsere imperiale Lebensweise aufzugeben, solange wird das Sterben weitergehen und kein wichtigtuerischer Außenminister eines Kleinstaates wird das ändern können. Übrigens: Die Tatsache, dass jetzt weniger Flüchtlinge über den Balkan kommen, ist dem Abkommen Deutschlands mit der Türkei geschuldet und nicht der sogenannten Schließung der Balkanroute.

Auch das Bashing auf die Barmherzigen, die Verunglimpfung derer als Gutmenschen, die helfen, wird uns keinen Schritt vorwärts bringen.

Warum trägt nun die europäische Wirtschaftspolitik Mitschuld an der Misere? Sie produziert laufend Elend in Afrika. Hier einige Beispiele:

Landraub
Uganda. Am 17. August 2001 wurden im ugandischen Verwaltungsbezirk Mubende 20141 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Ihre Häuser wurden zerstört, ihr Eigentum geplündert. Täter waren Einheiten der ugandischen Armee, welche die Dörfer Kitemba, Luwunga, Kujunga und Kiryamakobe auf Befehl der ugandischen Regierung mit Gewalt räumten. Anlass für die Vertreibung war die Errichtung einer modernen und nachhaltig betriebenen Kaffeeplantage. Dieses von der Regierung geförderte Großprojekt wurde von Kaweri Coffee Plantation Ltd., einer Tochterfirma der deutschen Neumann Kaffee Gruppe aufgezogen und sollte als Entwicklungsmotor einer entlegenen und strukturschwachen Region dienen. Den vertriebenen Bewohnern wurde keine Entschädigung für den Verlust ihrer Existenzgrundlage gewährt (aus einem Bericht in der Furche).
Sierra Leone in Westafrika. Hier wird Zuckerrohr angebaut. Aus dem Zucker wird Ethanol erzeugt, nach Europa exportiert und dort mit normalem Benzin vermischt. Wird von der Schweizer Firma Addax betrieben. Um das Projekt zu finanzieren bedient sich ADDAX auch aus Mitteln von Entwicklungsfinanzinstitutionen aus Deutschland, den Niederlanden oder Schweden. Die Kredite dieser öffentlichen Institutionen betragen 142 Mill. Euro. Auch Geld aus Österreich wurde in Anspruch genommen. Aktuell ist eine Investitionssumme von 455 Mill. Euro auf der Homepage von Addax zu lesen. Die Produktion vergiftet das Wasser, eine immer knapper werdende Ressource. Zudem sind die Entschädigungen für vernichtete Bäume viel zu niedrig ausgefallen. Für eine gefällte Ölpalme hat man den Bauern 6 Dollar bezahlt. Dabei hätten sie damit in einem Jahr 20 Dollar verdienen können und das mindestens 20 Jahre lang. Die dortige Bevölkerung ist land- und rechtlos. Wollen sie Holz sammeln für ihre Heizungen, müssen sie um Erlaubnis fragen
(Radiokolleg Ö1, 19.9.2015).

Schädigung der afrikanischen Märkte
Im WTO-Abkommen haben die USA und Europa Sonderrechte erhalten. Sie dürfen ihre Landwirtschaft subventionieren. Die meisten Entwicklungsländer dürfen das nicht. Sobald die ärmeren Länder die Wünsche der EU nicht akzeptieren droht ihnen eine Kürzung der Entwicklungshilfe oder andere Sanktionen.
Beispiel Kenia - Schnittblumen wurden strafweise mit Zöllen belegt und zwangen Kenia zum Einlenken. Danach überschwemmten billige subventionierte EU-Produkte die dortigen Märkte und nahmen den Unternehmen ihre Überlebenschancen
(Radiokolleg Ö1, 28.12.2015).

Von Industriestaaten hauptverschuldeter Klimawandel 
Zwischen 2010 und 2011 vernichteten in Ägypten Rekord- Dürrekatastrophen die Weizenernte und trieben die Preise nach oben. Damit wurde der sogenannte Arabische Frühling eingeleitet, der daher auch den Namen "Brotrevolution" trägt.
Nur 20 % der Landfläche Kenias sind nutzbar, der Rest ist zu trocken, die Niederschläge nehmen weiter ab. Nomaden wandern mit ihren Vieherden durch das Land. In trockenen Gebieten wie in Kenia wandern sie von einer Wasserstelle zur nächsten. Während der großen Dürre 2005/2006 kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, weil das Wasser an den Wasserstellen knapp geworden war.
An der Küste Senegals sorgt der ansteigende Meeresspiegel dafür, dass die Küste weggespült wird und ganze Dörfer im Meer versinken. Im Norden des Landes breiten sich die Wüstenzonen aus und vernichten Weide- und Ackerland.
2007 - 2010 gab es die schlimmste Dürre in der Geschichte Syriens. Damit verloren Menschen in ländlichen Gebieten ihre Lebensgrundlage und der extreme Zuzug in die Städte heizte die Unzufriedenheit der Bevölkerung an, die dann in den Bürgerkrieg mündete.

Worum man sich zu kümmern hätte
Das sind nur einige der vielen Gründe, warum es Flüchtlinge gibt. Wie grenzenlos dumm erscheint da die Bemerkung, Frau Merkel hätte mit ihrem Satz die Flüchtlinge angelockt.
Ja, es stimmt. Unsere Gesellschaftsordnung in Europa ist bedroht. Aber nicht, weil die Grünen, NGOs und verständnisvolle Menschen Not lindern wollen, sondern weil die Regierungen Realitätsverweigerung betreiben. Sie kümmern sich um TTIP, dessen Regeln Afrika überhaupt nicht berücksichtigen und es noch weiter ins Elend treiben, sie faseln von Hot Spots in Libyen und verstehen nicht, oder wollen nicht verstehen, dass Migration ein Symptom ist, also Ursachen hat. Kümmert man sich nicht um diese Ursachen, stehen sie als Flüchtlinge vor unserer Haustür, ob es uns nun passt oder nicht.

Dann sind da noch die nationalistischen Parteien vom rechten Rand, die Zukunftsängste, Frust und Hass schüren und wie Hyänen von diesen geistigen Abfällen ihre politische Karriere nähren.

Nein, die Barmherzigen müssen sich nicht rechtfertigen, sondern die, welche durch ihr unmenschliches Handeln, ihre Ignoranz gegenüber dem Leid Anderer und ihr hetzerisches, narzisstisches Verhalten die Probleme verschlimmern.
Karl Wagner

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