Montag, 27. August 2018

Die gegenwärtige Krise und der Neoliberalismus

Walter Lippmann
Nach dem zweiten Weltkrieg war vom Neoliberalismus noch nichts zu bemerken. Es gab den  beispiellosen Aufstieg der westeuropäischen Sozialstaaten. Jeder Mensch konnte ein voll versicherten Arbeitsplatz bekommen, es gab keine prekären Jobs, dafür geringe Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung, die sozialen Absicherungssysteme wurden ausgebaut, Wechselkurse und Rohstoffpreise waren stabil und Finanzspekulationen machten keinen  Sinn. Das Erzielen von Renditen war nur durch Investitionen, Produktion und Handel möglich, daher expandierte die Realwirtschaft.

Vor 80 Jahren, vom 26. bis zum 30. August 1938 fand in Paris das "Colloque Walter Lippmann" statt, auf dem zwei Dutzend Ökonomen den Liberalismus zu Grabe trugen und etwas Neues schaffen wollten: Sie einigten sich auf den Begriff "Neoliberalismus". Die Neoliberalen waren Jahrzehnte lang erfolglose Außenseiter, aber sie hielten durch. Ihr Plan: Erst die Universitäten erobern, dann die Politik, dann die Massen.

Sie übernahmen irgendwann das bis dahin eher zweitrangige Wirtschaftsinstitut der Universität von Chicago, in den 1970ern berieten sie den chilenischen Diktator Pinochet, in den 80ern setzten Thatcher und Reagan ihre Ideen um, in den späten 90ern folgte die europäische Sozialdemokratie. Heute haben die Neoliberalen die totale Hegemonie, aber ihr Plan geht doch nicht auf: Die Allianz mit den autoritären Rechten, die mit Pinochet begann, hat diese mächtig werden lassen. Die Neoliberalen haben den Massen den Glauben an die Demokratie genommen. Statt der totalen Freiheit vom Staat kommt nun der autoritäre Kapitalismus. 

Seit der industriellen Revolution verfeuern wir Kohle, Öl und Gas und ermöglichen damit eine permanente Expansion von Produktion und Konsum. Und doch gibt es immer noch weltweit Hunger, Arbeitslosigkeit und Armut. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Lohnzurückhaltung, Senkung des Arbeitslosenentgeldes und Lockerung des Arbeitnehmerschutzes erhöht die Ungleichheit, dämpft das Wirtschaftswachstum und läßt die Arbeitslosigkeit steigen. Den gleichen Effekt hat die Bekämpfung der Staatsverschuldung durch Sparpolitik und Sozialabbau.  Viele Menschen in Österreich können sich mit Ihrem Einkommen keine gesunden Lebensmittel, keine ansprechende Wohnung, keine gute Ausbildung für ihre Kinder leisten. Das liegt daran, dass der Produktivitätszuwachs der letzten Jahre ungleich aufgeteilt wurde und dadurch die reale Kaufkraft der Bevölkerung eher gesunken ist. Staaten sparen, Betriebe fahren Investitionen zurück. Wo alle sparen, kann es kein Wachstum geben und die gleichbleibende oder sinkende Nachfrage kann durch die steigende Produktivität mit immer weniger Arbeitskräften bewältigt werden.  Spätestens nach der Finanzkrise stehen wir an einem Punkt, an dem niemand mehr wirklich weiß, wie es mit dem alten System weitergehen kann.

Wir brauchen eine Gesellschaft, die Kreisläufe schließt, regionale Ökonomien unterstützt, Landwirtschaft nachhaltig denkt und so mit dem Wirtschaften auf Kosten der Natur bricht. Ein Systemwechsel ist also nicht nur dringend notwendig, er ist auch unabdingbar, um nachfolgenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Für alles, was wir heute tun - oder auch nicht tun - werden uns unsere Enkel verantwortlich machen. 

Die Antwort auf unser derzeitiges System, das den sozialen Zusammenhalt und die Umwelt schädigt, darf keine 80 Jahre dauern!

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