Freitag, 15. Mai 2020

Regierung ignoriert EU-Recht bei Sonderklagerechten für Konzerne



Mit Bedauern und Ärger muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die österreichische Regierung zu den wenigen EU-Staaten gehört, die noch immer EU-interne Abkommen mit Sonderklagerechten für Konzerne unterhält. Und das, obwohl die Regierung Bierlein 2019 die erforderlichen Schritte für eine Beendigung in die Wege geleitet hat. Sie hielt sich damit an einen Beschluss des EuGH wie auch weitere 23 EU-Staaten.

Der Schwenk, den die jetzige Regierung offenbar vollführt hat, wurde bekannt, weil aktuell vier ISDS-Klagen österreichischer Banken gegen Kroatien bei Schiedsgerichten anhängig sind.
Raiffeisenbank, Erste Bank, Addiko Bank und Bank Austria setzen auf Sonderklagerechte, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie stützen sich dabei auf das österreichische Investitionsabkommen mit Kroatien.

Hätte Österreich das Beendigungsabkommen am 5. Mai unterzeichnet, so wären Österreich und Kroatien verpflichtet, den Schiedsgerichten in einer gemeinsamen Erklärung mitzuteilen, dass die im Investitionsabkommen vereinbarte Schiedsklausel nicht anwendbar ist.
Dass sie nun doch angewandt wird, liegt möglicherweise an der Bankenlobby. Das vermutet jedenfalls – nicht zu Unrecht – attac und die Plattform anders-handeln

Was sind Sonderklagerechte (ISDS)?
Das mit dem englischen Begriff bezeichnete Investor-state dispute settlement (ISDS; deutsch Investor-Staat-Streitbeilegung) ist ein Instrument des internationalen Rechts. ISDS erlaubt es einem ausländischen Investor gegen einen Staat, in dem er investiert hat, ein Streitbeilegungsverfahren anzustoßen, wenn er seine nach internationalem öffentlichem Recht garantierten Rechte verletzt sieht. In der Regel handelt es sich dabei um Schiedsverfahren, weswegen häufig der Begriff „Investitionsschiedsverfahren“ verwendet wird.

Soweit die wertfreie Erklärung in Wikipedia. Warum es anhaltenden Widerstand dagegen gibt, liegt daran, dass es sich hier um eine Umgehung ordentlicher Gerichte handelt.

Was sind die Hintergründe des Widerstands?


Karin Hartmann hat das in ihrem Buch „Die grüne Lüge“ erklärt.
Mit Schiedsgerichten können Konzerne ganze Staaten daran hindern, ihre Bevölkerung zu schützen. Kritiker nennen das Schattenjustiz. Denn hinter verschlossenen Türen verhandeln keine unabhängigen Richter, sondern private Anwälte. Sie unterliegen weder parlamentarischer noch demokratischer Kontrolle – trotzdem sind die Beschlüsse juristisch bindend. Sollte sich andererseits jemand in seinen Menschenrechten von Unternehmen verletzt sehen, kann er damit vor kein Schiedsgericht ziehen. Weil die Einhaltung von Menschenrechten keine Konzernpflicht oder Unternehmenspflicht, sondern Staatspflicht ist. Also räumen die Investitionsschutzabkommen Konzernen nur Rechte und keine Pflichten ein. Nicht einmal die Pflicht, Menschenrechte und Umweltschutz einzuhalten. Arme Länder, die sich gegen umweltschädliche Projekte wehren wollen, können sich die Millionen, die eine Verteidigung gegen ein derartiges Schiedsgericht kosten würden, nicht leisten und verzichten oft schon bei Androhung auf Umwelt- oder Menschenrechtsauflagen.
Bereits auf allen Kontinenten sind Länder von Konzernen verklagt worden: wegen Nichtraucherschutzes, des Verbots giftiger Chemikalien und vor allem wegen der Einschränkung umwelt- und gesundheitsschädlicher Bau- und Rohstoffprojekte.
Laut der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) richten sich zwei Drittel dieser Klagen gegen Schwellen- und Entwicklungsländer. 85 Prozent der Kläger kommen aus den reichen Ländern des Nordens, ein Drittel davon wiederum aus der EU.

Dass die EU nun diese zweifelhaften „Rechtsmittel“ wenigstens unter ihren eigenen Ländern nicht will, versteht man nun. Dass Österreich da aus rein egoistischen und kurzsichtigen Erwägungen immer noch gegen ein EU-Nachbarland vorgeht, ist weniger verständlich.


Karl Wagner

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen