Sonntag, 3. Mai 2020

Die Idioten von Wuhan



Wuhan - die Hauptstadt der Provinz Hubei in China kennt wohl die ganze Welt. Eine trauriger Anlass, berühmt zu werden. Auch das unfreiwillige Heldentum des Arztes Li Wenliang ist kein Ruhmesblatt für die chinesische Autokratie. Andererseits kann China stolz darauf sein, die Pandemie in Wuhan relativ rasch wieder unter Kontrolle gebracht zu haben.

Doch die Siegesmeldungen des chinesischen Staates sind noch nicht verhallt, da steigt bereits die Ungewissheit. Wie hoch ist die Zahl der Corona-Toten wirklich?
Was geschah während der dunklen Stunden des Lockdowns wirklich?
Man vernimmt, dass Mitarbeiter in den Krematorien ausgetauscht wurden. Kritische Blogger sollen verschwunden sein.

Das Huanan Seafood Market, wo das Virus auf den Menschen übergesprungen sein soll, ist mit Trennwänden abgesperrt.

Es ist still in Wuhan. Verdrängung? Angst? Leidensfähigkeit? „Wir Chinesen haben viele Katastrophen erlebt, sie haben sich in unserer Seele festgesetzt, aber wir sind hart im Nehmen und zäh im Erdulden“, sagt Hao Qun, ein Schriftsteller und Regimekritiker, der seit Jahren nur noch im Ausland veröffentlichen kann.

Zäh im Erdulden, aber auch unermüdlich im Helfen. Wie sich eben Menschen in allen Teilen der Welt finden, die im Ernstfall über sich hinauswachsen. Wie Zhu Hai, ein mittelloser Lebenskünstler. Graffiti-Sprayer und Hobbymusiker. Als Wuhan abgeriegelt wurde, gründete er die Freiwilligengruppe „Kleines Licht“. Sie schmuggelten Hilfsgüter in Krankenhäuser, weil Lkw die Checkpoints nicht passieren durften. Sie waren eine Art Notfahrdienst. Privatleute aus dem ganzen Land schickten Schutzmaterial und Nahrung. Zhu Hai und seine Organisation verteilen sie an Krankenhäuser und Bewohner. Er und seine Leute waren nicht die Einzigen. Es sollen sich an die hunderttausend Bürgerinnen und Bürger engagiert haben. „Freiwillige wie wir sind Idioten“, sagt Zhu Hai. Er habe seine Ersparnisse, mehr als tausend Euro, für die Benzinkosten seiner Mitstreiter eingesetzt.

Auf die Frage: „Und wenn die zweite Welle kommt?“, antwortete er: „sind wir wieder zur Stelle. Wir sind Idioten, sag ich doch.“

Idioten wie in Wuhan gibt es überall. Sie treten immer dann in Erscheinung, wenn sie gebraucht werden. Ansonsten sind sie unauffällig, auch lästig. Unwichtig. Entbehrlich. Wie der Hobbymusiker und Sprayer Zhu Hai.

Karl Wagner

Die Grundlage dieses Beitrags ist ein Artikel der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ vom 29. April. Der Reporter war Xifan Yang.


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