Donnerstag, 2. Dezember 2021

Gewessler, die Lobau und der Tunnel


 „Klimaschutz macht, wenn er wirken soll, einen ökologischen Umbau unserer Konsum- und Produktionsprozesse notwendig; die Mobilität kann davon nicht unberührt bleiben, macht sie doch in Österreich wie in der EU rund 30 Prozent der CO2-Emissionen aus, wovon wiederum rund 70 Prozent auf den Straßenverkehr entfallen. So gesehen liegt es auf der Hand, Großprojekte in diesem Bereich noch einmal auf ihre ökonomische wie ökologische Sinnhaftigkeit abzuklopfen. Es ist Zeit, dass die türkis-grüne Koalition ihre politische Substanz beweist, wenn es darum geht, das "Beste beider Welten" im echten Leben zusammenzuführen.“
Walter Hämmerle in der „Wiener Zeitung“ vom 30.11.2021


Möglicherweise wird Gewesslers Absage des Lobautunnels und anderer geplanter Straßenbauprojekte bestehende und zukünftige Koalitionen der Grünen belasten oder erschweren. Und es ist stark anzunehmen, dass auch Gewessler und die grüne Regierungsmannschaft insgesamt diese Möglichkeit sieht. Aber umso positiver ist zu bewerten, dass hier mal über den Zeitrahmen einer Legislaturperiode hinausgedacht und das Wohl kommender Generationen (und auch die Lebensqualität der jetzt lebenden) an die erste Stelle gerückt wurde, auch wenn das die Chancen auf Machterhalt möglicherweise verschlechtert.

Für eine Diskussion der Verkehrsproblematik, die hier nur angestoßen werden kann, müssten wir mit den Ursachen beginnen. Und was ist die Ursache, der Grund, dass sich jemand von A nach B begeben will oder glaubt, sich begeben zu müssen? Letztlich ist es ein Mangel am Ort A, den ich durch einen Aufenthalt in B beheben könnte. Ganz egal, ob es sich bei diesem Mangel um einen Zigarettenautomat, den Arbeitplatz, ein Theater usw. handelt. Das heißt, dass Mobilitätsbedürfnisse durch Mängel entstehen. Daher wäre es naheliegend, mal hier anzusetzen, soweit es vernünftigerweise geht. Das betrifft unter anderem den Bereich der Orts- und Raumplanung und die Organisation unserer Arbeitswelt.

Der zweite Denkanstoß: Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Anzahl der Wege, die Mensch täglich oder wöchentlich zurücklegt, in den letzten paar hundert Jahren nicht wesentlich geändert hat. Was sich geändert hat, sind die dabei zurückgelegten Entfernungen und die (zumindest theoretisch möglichen) Geschwindigkeiten.

Und der dritte Denkanstoß: Wo gibt es ein konkretes Beispiel, wo eine neue oder breitere Straße nicht relativ kurzfristig zu einer Zunahme des Verkehrs geführt hat? Meine Hypothese: So ein Beispiel gibt es nicht, was dann beweist: Neue oder breitere Straßen lösen keine Mobilitätprobleme, sie verschlechtern sie zwar auch nicht notwendigerweise, gehen aber auf jeden Fall auf Kosten von Umwelt und Ressourcenverbrauch.

Wenn Wien den Autoverkehr reduzieren will, brauche es eine starke Verhaltensänderung, sagte auch Günter Emberger, Verkehrsplaner an der TU Wien, im Ö1 Mittagsjournal. Dafür müsste man die Rad-, Fußgänger- und Öffi-Infrastruktur ausbauen. Das sei mindestens genauso schnell möglich wie der Bau einer Autobahn. 

1 Kommentar:

  1. "Wenn man vernehmen muss, dass es keine Alternativen zum Lobautunnel und der S1 gäbe, muss man sich als realitätsbezogener Wissenschafler wundern, woher diese Sicht auf die Welt wohl stammen mag. Und das gerade in Wien. Dass man sich kurzsichtig in Projekte verrannt hat, kommt in der Politik immer wieder vor, und es ist ein Glücksfall, wenn man das noch rechtzeitig erkennt, um Schlimmeres zu verhindern."
    Prof. Hermann Knoflacher in der Wiener Zeitung,
    https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2129909-Die-Alternativen-zum-Lobautunnel.html

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