Freitag, 16. Oktober 2015

Auf der Flucht!

Die freundlichen Gesichter Europas
Wir leben in einer unruhigen Zeit. Veränderung kommen auf uns zu, deren Auswirkungen noch niemand kennt. Unsere Beschauligkeit scheint gefährdet.


Menschen, die einer Hölle zu entkommen suchen, die der Westen - also wir - mitverschuldet haben stehen vor unseren Türen und zeigen uns, dass wir Gefahr laufen, unsere
viel gerühmten Europäischen Werte zu verlieren. Gerade jetzt, wo wir zu ihnen stehen sollten. War alles nur Scheinheiligkeit? Nur Gerede? Inhaltlos? Gedankenlos? War es nicht. Es gibt Menschen, die dem destruktiven Trommelfeuer aus Fremdenhass, Angst und Lügen standhalten. Sie setzen sich zusammen aus Polizisten, Soldaten, Beamten, Politikern, NGO`s und großen Teilen der Zivilbevölkerung.

Menschen, die sehen und handeln. Einfach aus ihrem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden heraus. Die vielleicht auch Angst und Sorge haben und die Herausforderungen sehen, mit denen wir alle konfrontiert sind. Aber die trotzdem wissen, was jetzt zu tun ist. Nämlich vor allem helfen. Die bis an die Grenzen der EU und bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen, um ihren Grundsätzen treu zu bleiben.
Es ist vor allem die Jugend, die in die Bresche springt. Die mit Recht Elite genannt werden darf. Deren Handeln Hoffnung macht. Es sind die freundlichen Gesichter Europas.

Isabella Krammer hat eine Sammelaktion in Biedermannsdorf für das Hilfsteam „Tee und Wärme" organisiert. Als Dank dafür erhielt sie dessen Bericht, den wir nun bringen dürfen. Ein beeindruckendes Dokument, das von Menschlichkeit, Mut und Tatkraft zeugt:

Wir waren von Donnerstag bis Sonntag (8. - 11.10) mit Tee und Wärme unterwegs, um flüchtenden Menschen zu helfen.
In Opatovac (kroatisch/serbische Grenze) stellten wir am ersten Tag fest, dass das Camp mittlerweile gut organisiert ist und für unser Equipment kein Versorgungsnotstand besteht. Sprich - die Menschen hatten genügend zu essen und zu trinken.

Also fuhren wir kurzerhand weiter nach Presevo (serbisch/mazedonische Grenze), noch in Serbien. Der Eindruck, der blieb ist: ein schlimmer Ort.
Flüchtende warten meist zwischen 4 und 7 Stunden auf die Registrierung, an schlimmen Tagen mit Stromausfällen können es 13/14 Stunden werden.
Alle warten. Auch Babys und ihre Mütter, auch Alte, auch Verletzte und sie warten Tag und Nacht. The "line", die Warteschlange entsteht und verkürzt sich auf einer Straße in einem dörflichen Teil von Presevo, links und rechts hüfthohe Absperrgitter, dann Polizei. Alles unter freiem Himmel. Letzte Woche regnete es 3 Tage durch, was zu einer humanitären Katastrophe führte.   

Von staatlicher Seite gibt es keine Versorgung. Die Menschen hungern, dürsten, frieren. Ohne Freiwillige - viele, aber zu wenige - gäbe es dort wohl Tote.
Wir lokalisierten unter anderem für die UNHCR "Extremely Vulnerable Refugees" - extrem verwundbare Flüchtlinge (Neugeborene, Menschen mit Anzeichen von Unterkühlung ersten und zweiten Stadiums, ...) - und holten sie aus der Line um sie zur medizinischen Versorgung zu bringen.
Vor allem in der Nacht und bei Starkregen mit stetig fallenden Temperaturen wirds kritisch. Und manchmal entschließt die Registrierabteilung zuzumachen. Von 4 Uhr morgens bis 8Uhr früh ist dann Pause. Für die Flüchtlinge bedeutet das zwei Optionen: mit völlig durchnässter Kleidung, zitternd nach irgendeiner Art von Unterschlupf zu suchen und die gesamte Tortur am nächsten Tag nochmal mitzumachen oder zu warten. Wie gesagt: Im Regen, bei Kälte.

Es gab auch Nächte ohne Regen.
Genug der Beschreibung. Wir haben vor Ort ein Zelt von Schweizern übernommen, die 2 Tage Erholung brauchten. Die ganze Sache ist psychisch sehr anstrengend, womit nicht jeder umgehen kann.
Zum Glück gab es schon Kochequipment. Wir brachten zwei weitere Gasherde, einen 100l, einen 80l Topf und begannen Tee, Kartoffel, Eier, Pasta zu machen.
Kartoffel und Eier waren für die Line die beste verfügbare Versorgung. Einfach zu verteilen und noch heiß, was Wärme gibt.
In 48 Stunden waren dies etwa 2000l Tee, 100kg Kartoffel, unzählige Eier (die Supermärkte in Presevo waren bei Abfahrt leer gekauft). An die 200kg Bananen kauften und verteilten wir ebenfalls.
Danach haben wir alles, was an Equipment möglich war an andere Freiwillige übergeben, die vielleicht heute noch dort stehen.

Danke für eure Spendengelder! Sie waren zu hundert Prozent notwendig und vielleicht haben wir einige dieser Menschen dort vor bleibenden Schäden durch Unterzuckerung oder Unterkühlung bewahrt.
Vielleicht vor Schlimmerem.

Auch wenn das alles sich etwas trist anhört, andere würden es katastrophal nennen - was definitiv eine treffende Bezeichnung wäre - haben wir uns vom lieben Wiener Deewan ein Motto geklaut:
"Good Food, Good Mood"

In zwei Wochen fahren wir wieder. Der Winter kommt, es wird kalt. 

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