Mittwoch, 2. November 2016

Biedermannsdorfs vergebene Chancen- Ortsentwicklung, Bürgerbeteiligung und Kinderheim


Durch die Absicht der Gemeinde Wien, das ihr gehörende ehemalige Kinderheim in Biedermannsdorf zu verkaufen, wurde die Diskussion, wie dieses Areal für die Biedermannsdorfer Bevölkerung am sinnvollsten genutzt werden könnte, neu angestoßen. Dieser Beitrag soll zeigen, was bereits vor nunmehr zehn Jahren - nicht nur zu dieser Frage - diskutiert wurde und welchen großartigen Beitrag die Bevölkerung Biedermannsdorfs damals unter Bürgermeister Unterhalser geleistet hat. Leider ist der Schwung von damals nicht genutzt, die meisten der erarbeiteten Vorschläge nicht umgesetzt und dadurch das Engagement der Bevölkerung, an der Ortsentwicklung mitzuarbeiten, nicht gerade gesteigert worden. Doch der Reihe nach:

Basierend auf 20 Jahren Erfahrung in der Dorferneuerung startete das Land Niederösterreich 2004 die Implementierung von Gemeinde21- Projekten. Dabei geht es darum, dass durch neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und BürgerInnen Gemeinden unterstützt werden, auf die Anforderungen, Herausforderungen und Fragen der nächsten Jahre und Jahrzehnte angemessene Antworten zu finden und die Lebensqualität in niederösterreichischen Gemeinden zu fördern. Biedermannsdorf hat sich 2006 dieser Unterstützung des Landes bedient und im Rahmen einer 2-tägigen „Zukunftskonferenz“ Visionen und Leitlinien für die Ortsentwicklung erarbeitet. Im Vorfeld wurde zunächst in 5 Arbeitsgruppen, in denen sich mehr als 30 BiedermannsdorferInnen engagierten, ein Fragebogen erarbeitet, der an alle Biedermannsdorfer Haushalte ging. 885 dieser Fragebögen kamen beantwortet zurück- eine überwältigende Rücklaufquote bei etwa 1300 Haushalten. Danach wurde Anfang Oktober 2006 in der „Zukunftskonferenz“ von diesen Arbeitsgruppen Visionen und Entwicklungsziele für die Zukunft entwickelt und konkrete nächste Schritte geplant. Dabei wurden die Inputs der Bevölkerung eingearbeitet. Die Ergebnisse wurden aufbereitet und am 29. November 2006 den BiedermannsdorferInnen präsentiert. Danach sollten weitere Sitzungen der Arbeitsgruppen abgehalten werden, um die erarbeiteten Maßnahmen zu konkretisieren.



Bestandsaufnahme
Begonnen wurde damit, Stärken und Schwächen, Chancen und Risken zu analysieren. Bei den Schwächen wurde bereits damals festgestellt:
  • fehlende Nahversorgung im Ortskern
  • Lärm
  • Umwelt- und Verkehrsbelastung
  • öffentliche Verkehrsanbindung (besonders abends)
  • zu wenig günstige Wohnungen
  • zu wenig für die Jugend
  • kein ausgeprägter Ortskern
Wer bis hierher gelesen hat, ist eingeladen, sich selbst ein Bild zu machen, was in den vergangenen zehn Jahren geschehen ist, um die Situation in diesen Bereichen zu verbessern.

Vision und strategische Ziele
Danach wurde nach lebhafter Diskussion die Vision „Biedermannsdorf – lebenswert in die Zukunft“ erarbeitet und folgende strategische Ziele definiert:
  • Die Gemeinde Biedermannsdorf strebt eine nachhaltige, ausgewogene und vernetzte Entwicklung in den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft an und achtet speziell auf einen sensiblen Umgang mit vorhandenen Ressourcen
  • BürgerInnenbeteiligung ist wesentlicher Bestandteil und Entscheidungsgrundlage von/für Planungen und Projekte
  • Die Gemeinde Biedermannsdorf legt besonderen Wert auf transparente Kommunikation, Kooperation und regionale Vernetzung mit Nachbargemeinden.
Im Rückblick von heute waren das zum Großteil leider nur gute Vorsätze, denen wenige Taten folgten:

Zur nachhaltigen Entwicklung der Umwelt und sensiblem Umgang mit Ressourcen ist beispielsweise festzustellen: Zwar wurde die Firma Ostermann bei der letzten Auftragsvergabe zur Pflege des öffentlichen Grünraums (zum Beispiel Kinderspielplätze und Badeteichgelände) auf die Einhaltung der „Natur-im-Garten“ Kriterien (Verzicht auf Torf, synthetischen Dünger und Pestizide) verpflichtet. Die Gemeinde selbst, die aber auch in diesem Bereich tätig ist, konnte sich bisher noch nicht dazu durchringen- im Gegensatz zu weit mehr als 100 Gemeinden allein in Niederösterreich. Und dies trotz mehrmaliger Anläufe der Grünen. Ganz zu schweigen davon, sich etwa an Laxenburg ein Beispiel zu nehmen und – mit Unterstützung des Landes – eine Aktionsplan „Nachhaltige Energie“ zu erarbeiten und umzusetzen. Oder sich, wie schon 77 andere Gemeinden in Niederösterreich, zur Fairtrade- Gemeinde zu erklären.

Zur BürgerInnenbeteiligung:  Zwar gibt es immer wieder Informationsveranstaltung der Bürgermeisterin. Dort werden aber im wesentlichen fertige, bereits entschiedene Konzepte oder realisierte Maßnahmen vorgestellt. Das ist zwar immerhin etwas, aber nichts, wo BewohnerInnen bereits im Vorfeld grundsätzlicher Entscheidungen eingebunden sind. Seit der Zukunftskonferenz 2006 hat keine vergleichbare Aktion mehr stattgefunden. Anlässe dazu gäbe es aber. So wurde beispielsweise von einem Zivilingenier- Büro im Jahr 2015 die Grundlagen eines Ortsentwicklungskonzeptes erarbeitet. Diese Unterlagen wurden den Gemeinderatsfraktionen weitergegeben und bei einem Info- Abend auch kurz vorgestellt, danach wurden aber keine Schritte zu einer angemessenen Bürgerbeteiligung unternommen. Auch der inzwischen ad acta gelegte Plan, die Wildenauer Kreuzung zu einem Kreisverkehr auszubauen, entstand ohne Mitwirkung der Bevölkerung.

Zu Kooperation und Vernetzung mit Nachbargemeinden: Zwar beteiligt sich Biedermannsdorf an der „Regionalen Leitplanung“, konkrete Ergebnisse oder auch nur Beispiele einer Zusammenarbeit sind nicht bekannt. So wurde zum Beispiel Wiener Neudorf in seinem Bestreben, die Lärm-, Abgas- und Feinstaubbelastung durch den Autoverkehr auf der A2 zu reduzieren, nicht unterstützt, obwohl Biedermannsdorf davon auch profitieren würde. Wiener Neudorf arbeitet seit längerer Zeit auch an einem Generalverkehrskonzept, das heuer im Herbst öffentlich vorgestellt wurde. Dass die Verkehrslenkung dort auch einen unmittelbaren Einfluss auf Biedermannsdorf hat, ist wohl logisch. Insbesondere wird die geplante Tunnelführung der B17 im Bereich der Hauptstraße (unsere verlängerte Ortsstraße) die Querung der B17 drastisch erleichtern und zu einem Anstieg des Verkehrs durch Biedermannsdorf führen. Die Lenkung des Autoverkehrs im Bereich Mödling, Wiener Neudorf, Biedermannsdorf und Achau liegt überhaupt komplett im Argen:
  • Die B11 ist gespickt mit Ampeln, welche meist sehr kurze Grünphasen haben und deshalb den Verkehr in die untergeordneten Straßen abdrängen. Die Bauhaus-Kreuzung ist ein Schildbürgerstreich. Besser als die von Michelfeit gebaute Unterführung wäre stattdessen eine Unterführung von der Autobahnabfahrt in das IZ NÖ-Süd (also im rechten Winkel zur jetzigen).
  • Leider ist die Route über Achau offensichtlich eine Mautvermeidungsstrecke für viele LKW-Fahrer. Achau würde eine Gewichtsbeschränkung brauchen, zumal die S1 das locker aufnehmen könnte.
  • Die beiden B11-Kreuzungen bei der BP-Tankstelle und weiter bei der Jet-Tankstelle sollten in Kreisverkehre umgebaut werden und eine bessere Straßenführung B11/B17 überlegt werden. Damit würde der Trassenverlauf der B11 bis zur B17 attraktiver.
  • Mödling hat seine Autobahn-Anbindungen an die Nachbargemeinden ausgelagert und sich selbst die Flächen für Baugrund reserviert.
Gemeindeübergreifende Kooperation mit Nachbargemeinden auf dem Gebiet Freiwillige Feuerwehr und Bücherei (Schwerpunktbildung) könnte allen beteiligten Gemeinden Kosten sparen.

Alles das sind die Resultate einer versäumten Kooperation zum Wohl der Biedermannsdorfer Bevölkerung.

Handlungsziele und Maßnahmen
Aufbauend auf den strategischen Ziele wurden 2006 in langen Diskussionen die ersten Ansätze von Handlungszielen und Maßnahmen formuliert. Hier ein Auszug daraus:

Eine wesentliche Verkehrsberuhigung soll bis 2010 durchgeführt werden. Umwelt- und gesundheitsbewusste Fortbewegung wird gefördert. Maßnahmenideen dazu:
Rückbau der Ortsstraße
Rückbau der Durchzugsstraßen
Mehr Wohnstraßen
Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel
Bessere Fahrplankoordinierung
Fahrgemeinschaften veröffentlichen
Nachtbusse (am Wochenende zu bestimmten Anlaufpunkten)
Kleine Shuttlebusse (Dolmusch) mit Gas/Biodiesel betreiben
Infoveranstaltungen
Bewusstseinbildung über KiGa und Schulen
Stand heute: Straßenrückbau und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind leider nicht erfolgt. Die Reduktion des Durchzugsverkehrs ist allerdings ohne Kooperation mit Nachbargemeinden nicht machbar. Der Versuch einer Busverbindung direkt zur U-Bahnlinie U6 wurde zwar gestartet, nach einiger Zeit aber wegen zu geringer Inanspruchnahme eingestellt. Eine Plattform für Fahrgemeinschaften gibt es nicht, obwohl sie leicht realisierbar wäre. Im Zusammenhang mit eCar- Sharing und Förderung der Elektromobilität werden wir demnächst konkrete Vorschläge machen. Auch das Projekt „ElektroMobil Eichgraben“, eine Kombination aus e-Car Sharing, Mitfahr- und Taxidienst scheint uns nachahmenswert.

Errichten einer breiten Infrastruktur für verschiedene Formen der Seniorenbetreuung bis 2010. Maßnahmenideen:
Infostelle für Senioren- und Betreuungsbelange
Seniorenwohnungen
Behindertengerechte Adaptierung aller Einrichtungen
Stand heute: Hier ist etliches umgesetzt. Die behindertengerechte Adaptierung öffentlicher Einrichtungen ist allerdings weitestgehend ungelöst, obwohl zwischenzeitlich gesetzliche Vorgaben dies zwingend erfordern. Konkrete Vorschläge von Umweltgemeinderat Karl Wagner liegen dem zuständigen Ausschussvorsitzenden vor. Eine „Dorfbegehung barrierefrei?“ wurde von den Grünen in der Gemeinderatssitzung vom März 2016 initiiert, konnte aber wegen Koordinationsfehlern bisher nicht durchgeführt werden. Sie soll nun Anfang 2017 nachgeholt werden.

Der Anteil an erneuerbarer Energie soll bis 2015 auf 25% erweitert werden. Maßnahmenideen:
Infotage gestalten
Energieberater
Biodieseltankstelle errichten
Biomasseheizwerk
Solaranlagen und Erdwärme fördern
BDF spart Strom – Aktion mit Stromsparberater
Stand heute: Das Biomasseheizwerk gibt es in Form des EVN Fernwärmeheizwerks in Mödling, an das etliche Gebäude bereits angeschlossen wurden. Auf dem Dach des Kindergartens wurde eine Photovoltaikanlage installiert, Solarthermie, Fernwärmeanschlüsse Biomasseheizungen, Photovoltaik, Elektromobilität und Wärmepumpen werden gefördert. Zwischenzeitlich gab es aber den Pariser Klimagipfel und den Weltklimavertrag vom April 2016, demzufolge weitere, erhebliche Anstrengungen zwingend unternommen werden müssen, um die verbindlich vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Wir werden dazu in nächster Zeit konkrete Vorschläge machen, was auf Gemeindeebene hier umgesetzt werden könnte.

Grünraum erhalten und gestalten. Maßnahmenideen:
Professionelle Landschaftsplanung
Abenteuerspielplatz beim Badeteich
Alleen (Schönbrunner und Laxenburger) gestalten
Gerinne (Rückbau Hochwasserschutz)
Stand heute: Zu „Landschaftsplanung“ findet sich in den Protokollen der Gemeinderatssitzungen kein einziger Hinweis. Auch die anderen Vorschläge sind weitgehend unrealisiert. Die Erhaltung des Mühlbachs wird die Kooperation mit Wiener Neudorf und den lokalen Anrainern erfordern.

Förderung der örtlichen Wirtschaft. Maßnahmenideen:
Nahversorgungszentrum
Büro/Seminarzentrum
Ärztezentrum
Betreutes Wohnen.
Bewusstes Einkaufen fördern (Bäcker, Gemüse, Schreibwaren)
Stand heute: Im  Seniorenheim ist betreutes Wohnen vorgesehen, allerdings noch nicht realisiert. Alle anderen Punkte sind weitgehend offen. Allerdings ist es gelungen, durch entsprechende Förderungen neue Betriebe im Industriegebiet östlich der A2 anzusiedeln.

Das Kinderheim
Natürlich war auch das ehemalige Kinderheim der Stadt Wien bei der Zukunftskonferenz Gegenstand vieler Diskussion und Überlegungen. Durch den an die Biedermannsdorfer Haushalte verschickte Fragebogen wurden zahlreiche Nutzungsmöglichkeiten gesammelt, Top- Favoriten waren Cafe, Fleischerei, Bäckerei, Bioläden, Büros, Räume für Feste und Feiern, Seniorenzentrum und Bibliothek, um nur einige zu nennen.

Bei der Erarbeitung der Vision wurden die eingebrachten Vorschläge in Form von „Zukunftsgeschichten“ verarbeitet. Dabei sollten sich die Teilnehmer vorstellen, es sei das Jahr 2020 und sie sollten einem im Jahr 2000 ausgewanderten Verwandten, der nun seine Pension antritt, einen Brief schreiben und ihn darin motivieren, mit seiner Familie nach Biedermannsdorf zurückzukehren.

Zusammenfassung
Durch die Zukunftskonferenz wurde ein enormes Engagement der Bevölkerung erreicht und viele wertvolle Ideen zur Weiterentwicklung des Ortes in Richtung einer gesteigerten Lebensqualität der BewohnerInnen gesammelt. Bei deren Realisierung hätte auch des Areal des Kinderheims eine bedeutende Rolle spielen können. Wie vorgesehen fanden auch nach der Vorstellung der Ergebnisse der Zukunftskonferenz zunächst noch weitere Sitzungen der Arbeitsgruppen statt, um die erarbeiteten Maßnahmen zu konkretisieren. Davon wirklich umgesetzt wurden die interkulturellen Kochabende, aus denen das Kochbuch „Biedermannsdorf isst anders“ und ein grandioses „Fest der Nationen“ hervorging.


Doch dann kam einiges anders:
Ein Jahr nach diesem erfolgversprechenden Aufbruch legte Bürgermeister Unterhalser im Februar 2008 sein Amt zurück.

Unter seiner Nachfolgerin, Frau Bürgermeisterin Dalos, wurden zwar mehrere Gespräche mit der Stadt Wien bezüglich des Kinderheims geführt, bei denen aber bislang keine Einigung erreicht werden konnte.

Die Finanzierung des Gemeinde-21 Projekts wurde von der Gemeinde eingestellt.
Der begonnene, bis dahin sehr erfolgreiche Prozess wurde nicht weiter fortgesetzt, es fanden keine weiteren Sitzungen der Arbeitsgruppen mehr statt. Die bisherigen Ergebnisse wurden negiert. Wie sonst wäre zu erklären, dass im Hinblick auf das Kinderheim bereits im Dezember 2008 im Gemeinderat beschlossen wurde, die Firma Donau Finanz für 15.000 Euro  mit der Analyse des Standortes, der Erarbeitung eines Nutzungsvorschlags, eines Funktionskonzepts und der Erstellung einer Machbarkeitsstudie zu beauftragen? In Gemeinderatssitzungen vom Dezember 2008, März 2009 und März 2010 wurde von der Opposition die Zustimmung zu Budgetvoranschlägen verweigert, hauptsächlich deshalb, weil für einen eventuellen Ankauf des Kinderheims keine Rücklagen gebildet beziehungsweise vorgesehen wurden. Von den Oppositionsparteien sowie vom derzeitigen Vorsitzenden des Prüfungsausschusses wurde seither oft bemängelt, dass langfristige Visionen und Konzepte nicht existierten und somit keine Grundlage für eine längerfristig vorausschauende Politik, insbesondere Finanzpolitik, vorhanden sei.

Anstelle der Orientierung an einem von der Bevölkerung mitgetragenen Gesamtkonzept trat die Realisierung weitgehend isolierter Einzelmaßnahmen. Die frühzeitige Einbindung der Bewohner und die Erarbeitung gemeinsamer Lösungen wurden stattdessen durch eine Verlautbarungspolitik ersetzt.

Weitere Informationen:
Fragebogenauswertung
Gesamtprotokoll der Zukunftskonferenz

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