Sonntag, 13. November 2016

Ketzerische Gedanken zur Wahl in den USA

Ketzerische Gedanken zur Wahl in den USA und was das mit uns zu tun hat.

Wir sind erzürnt und empört über den Grapscher im Weißen Haus. Wir sind voller Abscheu über
seinen offen geäußerten Rassismus, seinen Narzissmus, seine vulgäre Ausdrucksform, seine
Gewaltphantasien. Es heißt, er sei der gefährlichste Präsident aller Zeiten. Man spricht von
Zeitenwende. Wie kann man so einen Flegel zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
machen?
Doch Vorsicht. Kehren wir da nicht vor der falschen Tür?

Was ist mit denen, die es sich gut eingerichtet haben in ihren behaglichen Finanztempeln in London,
New York, in Washington und anderen Städten. Auch in Wien?
Was ist mit denen, die ein bequemes Auskommen haben und keinen Gedanken daran verschwenden,
wer vor ihrer Haustür krepiert und wie viele das sind.
Was ist mit Politikern, die schwärmen, wie gut es uns geht und dass es uns noch nie so gut ging wie
heute und die sich nicht darum scheren, wie sich das für einen prekär Beschäftigten oder eine
alleinerziehende Mutter mit Mindestsicherung oder einen Langzeitarbeitslosen anhören muss. Und
die dann noch mit belehrend erhobenem Zeigefinger darüber schwadronieren, dass wir über unsere
Verhältnisse leben. Wen sie da wohl meinen?
Was ist mit den Politikern, die seit Jahrzehnten mit den Konzernen packeln, die es seit Jahrzehnten
verabsäumen, den Finanzkapitalismus an die Kandare zu nehmen und die seit Jahrzehnten allen
Warnungen kluger und verantwortungsbewusster Menschen und Organisationen gegenüber
resistent sind. Die Pflichtvergessenen, die sich weigern, für eine solidarische Verteilung der
Ressourcen zu sorgen, was ihre vornehmste Aufgabe wäre.
Und wenn wir uns über Trump entrüsten, muss ich schon fragen, ob seine Aus- und Anfälle wirklich
so schrecklich sind? Oder ist nicht vielleicht doch das scheinheilige Getue der Clintons viel
verwerflicher und verachtenswerter? Die Clintons der Welt, die dieselbe jetzt angeblich nicht mehr
verstehen. Ich verstehe sie schon. Ich verstehe die ohnmächtige Wut, die sich angesammelt hat und
die die Menschen nun veranlasst, alles zu wählen, was sich irgendwie von dem bisher Gewohnten
unterscheidet.
Die Grünen haben hier einen schweren Stand, da sie eine konstruktive Opposition sind, was sie für
die Wütenden bereits verdächtig macht. Aber Warnungen sind auch von den Grünen schon genug
gekommen, sie haben es nie aufgegeben, Vorschläge zu machen und ihre Mitarbeit anzubieten. Oft
ist es auch gelungen. Umwelt und Nachhaltigkeit zählen heute zum Kernbereich aller Parteien. Und
Menschenrechte, Transparenz, Vergangenheitspolitik sind ebenfalls Themen, deren Gewicht nicht
nur, aber auch durch die Grünen größer geworden ist.
Allein – auch in Österreich ging und geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf. Auch hier sind die Regierenden seit Jahrzehnten nicht in der Lage oder nicht willens, die Zeichen zu
erkennen.
Meiner Überzeugung nach gibt es aber nur einen Weg, nämlich den, uns selbst treu zu bleiben.
Populismus können die anderen besser. Auch lügen. Bleiben wir so, wie wir sind und denken wir an
unsere grünen Grundwerte, die mit Solidarität, Gewaltfreiheit und Demokratie zu tun haben.
Wenn unsere Sprache derzeit auch nicht im Trend liegt, es wird eine Zeit kommen – und das kann
bald sein – wo das wieder der Fall sein wird. Und dann werden wir nicht – wie viele andere – erklären müssen, warum wir plötzlich wieder ganz anders denken.
Van der Bellen ist der Mann, der diesen Weg geht. Den unbeirrbaren Weg der eigenen Überzeugung,
des Friedens und der Solidarität.
Karl Wagner

2 Kommentare:

  1. Man sollte einen Präsidenten nach seiner Leistung beurteilen und nicht nach dem (unsäglichen) Gequatsche in der Vorwahlzeit. Auch sollten wir vor der eigenen Türe kehren... Danke, Herr Wagner, für den sehr treffenden Kommentar zur USA Wahl. - Wie werden sich wohl die Österreicher nach dem 4.Dezember fühlen?

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