Sonntag, 16. März 2025

Klein- und Mittelbetriebe, Wirtschaftspolitik und Umweltschutz in den Krallen der Wirtschaftskammer.

 

Vor wenigen Tagen fanden in Österreich die Wirtschaftskammerwahlen statt. Damit wurde entschieden, wer die Wirtschaft in den nächsten Jahren in der Politik vertreten wird. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) hat ein enormes Gewicht in der Politik. Durch die bestehende Struktur mit einer Bundes- und neun Landesorganisationen sowie bundeslandweise unterschiedlich organisierten Fachorganisationen ist die WKO zu einem aufgeblähten Apparat mit (laut WK-Auskunft) 839 Einzelorganisationen und mehr als 5.000 Beschäftigten geworden, der (Stand Juni 2024) einen Rücklagenberg von rund 2 Milliarden Euro angehäuft hat. Die traditionell schwarze Kammer verhandelt auf Arbeitgeberseite die Kollektivverträge für rund 95 Prozent der Beschäftigten in Österreich mit und mischt auch auf höchster Ebene in der Bundespolitik mit. Ihre Vertreter verhandelten das Regierungsprogramm, mit Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) hat ein ehemaliger Spitzenfunktionär der Kammer den für die Wirtschaft wichtigsten Ministerposten inne. Und solange ÖVP und SPÖ die Regierung stellen, wird sich an der Macht der Kammern wohl nicht viel ändern.

Kritik:
Das Wahlsystem der WKO wird seit langem als intransparent und undemokratisch kritisiert. Der Politologe Hubert Sickinger vergleicht es mit dem historischen Kurienwahlsystem, weil wirtschaftlich bedeutende Unternehmen und Branchen stärker gewichtet werden. Mehrere Unternehmerinnen und Unternehmer hielten 2021 ihre Mitgliedsbeiträge zurück, nachdem DER STANDARD ein internes Papier der Wirtschaftskammer geleakt hatte, aus dem hervorging, wie die Kammer das Klimaschutzgesetz torpedierte - und schließlich zu Fall brachte, wodurch die Wirtschaft keine Planungssicherheit für Investitionen in den Klimaschutz oder für die Entwicklung klimaschonender Produkte oder Fertigungsverfahren hat. Ende 2024 geriet die WKO in die Kritik, nachdem aus einem geleakten Geheimpapier hervorging, dass sie sich für einen Stopp der Klimabemühungen und gegen einen Stopp der Gaslieferungen aus Russland aussprach. Auch die NGO „Protect our Winters“ sah in der Kammerwahl eine Klimawahl und begründete dies durch ihren Geschäftsführer Moritz Nachtschatt so: "Die Wirtschaftskammer hat sich in den letzten Jahren als der größte Klimablockierer Österreichs herausgestellt."

Das Climate Change Centre Austria (CCCA), ein Zusammenschluss der heimischen Klimaforscherinnen und -forscher, veröffentlichte 2023 den Bericht "Strukturen für ein klimafreundliches Leben". Darin wurde analysiert, warum die heimische Klimapolitik nur zögerlich vorankommt. "Aktuelle Wortmeldungen und Lobbying-Initiativen zeigen, dass besonders die Wirtschaftskammer unverändert entschlossen am Zeitalter fossiler Energien festhält. ….. Die Wirtschaftskammer verhindert nach wie vor klimapolitische Maßnahmen in den meisten relevanten Sektoren." Und Judith Brockmann, Sprecherin des Dachverbandes Erneuerbare Energie Österreich (EEÖ), sagt: "Die Wirtschaftskammer ….. vertritt am Ende immer wieder Positionen, die unsere Ziele torpedieren." Ein Beispiel:  Die Kammer verhinderte den verbindlichen Ausstieg aus  Kohle- und Ölheizungen bis 2025 und aus  fossil betriebenen Gasheizungen bis 2040, der im Erneuerbare-Wärme-Gesetz der Türkis-Grüne Regierung zuvor im Ministerrat beschlossen wurde.

Postenschacher:
Das Wirtschaftskammergesetz macht es möglich, dass z.B. die Stimme einer stramm linken Unternehmerin bei der Freiheitlichen Wirtschaft landet oder die Stimme eines erzkonservativen Wirtschaftstreibenden bei der Sozialdemokratie. Möglich wird dies durch ein riesiges, dreitägiges Postengeschacher, das vom Wirtschaftskammergesetz zugelassen wird. Zwar werden bei der Urwahl alle Stimmen den jeweiligen Innungen oder Fachgruppen zugeordnet. Die Besetzung der mächtigen Posten weiter oben in der Kammerhierarchie ist jedoch das Ergebnis eines Tauschhandels mit „überzähligen“ Stimmen ohne jede demokratische Legitimation. So können Mandate kleinerer Fraktionen gegen prominente Kammerämter eingetauscht werden.

Auch die sogenannten "Listenvereinigungen" stehen in der Kritik. In Wien etwa tritt der ÖVP-Wirtschaftsbund in einigen Branchen gemeinsam mit dem Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband an, in Vorarlberg hat er sich mit der Freiheitlichen Wirtschaft zusammengeschlossen. Für die Wähler:innen ist dadurch nicht ersichtlich, wem ihre Mandate zukommen und am Tag der Verkündung des Wahlergebnisses ist nicht klar, wie dieses zustande gekommen ist. Das Kammergesetz erlaubt es der Kammerführung auch, nach der Wahl zusätzliche Posten zu schaffen - etwa einen Wirtschaftskammer-Vizepräsidenten für eine Fraktion, die sich als nützlich erwiesen hat - und so Macht gegen Posten zu tauschen. Dieses undurchsichtige System lehnen alle Fraktionen in der Kammer ab - mit Ausnahme des ÖVP-Wirtschaftsbundes.

Im November 2022 wurde von Abgeordneten der NEOs im Parlament ein Entschließungsantrag mit dem Betreff „Schluss mit Skandalen: umfassende Strukturreform gegen die Narrenfreiheit im Selbstbedienungsladen Wirtschaftskammer“ eingebracht. Darin wurde ein Best-of der Skandale der Wirtschaftskammer detailliert aufgezählt und gefordert, das System der Wirtschaftskammern so umzugestalten, dass die derzeitige Zwangsmitgliedschaft abgeschafft und den Mitgliedern ein Austrittsrecht eingeräumt wird. Der Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und FPÖ abgelehnt. Auch spätere, ähnliche Versuche wurden alle von ÖVP-Wirtschaftsbund und der ÖVP-dominierten Kammer abgeschmettert.

Quellen, nähere Details und weiterführende Links:
https://www.derstandard.at/story/3000000259916/gerade-laeuft-oesterreichs-wichtigste-klimawahl-von-der-sie-noch-nie-gehoert-haben
https://www.derstandard.at/story/3000000260982/mit-welchen-tricks-wirtschaftskaemmerer-zu-ihren-maechtigen-posten-kommen
https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/2951/fnameorig_1482926.html
https://www.profil.at/wirtschaft/wirtschaftskammerwahl-wko-2025-wahlsystem-mandate-stimmen-wirtschaftsbund-swv-fraktionen/403021547  

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