Sonntag, 18. Juni 2017

Sag mir, wo die Blumen sind ...


rote Mohnblumen
Vielleicht war es diese Diskussion rund um den Alkohol auf der FB-Seite "Mein Biedermannsdorf", das mir diese Geschichte aus meiner Jugend wieder in Erinnerung brachte. Vielleicht auch das genüsslich absichtsvolle Missverstehen einiger Beteiligter. Die Geschichte stammt aus der Zeit, als der Vietnamkrieg tobte, als der Terror Europa heimsuchte. Ja - den gab es damals auch schon. Und wie. Aber auch aus der Zeit von Woodstock. Der Zeit, als viele glaubten, die Welt mit Liebe aus den Angeln heben zu können. Auch damals waren Alkohol und Drogen die "Wundermittel" dazu.
Roland war anders als wir. Einfühlsamer. Sensibler. Trauriger. Warum er trauriger war als wir? Vielleicht weil er über vieles zu viel nachdachte. Oder zu wenig? Vielleicht, weil er die Schmerzen des Kindes fühlen konnte, das im Napalm verbrannte. Vielleicht, weil er den Hunger spüren konnte, der in aufgeblähten Bäuchen wütete. Vielleicht aber auch, weil er sah, wie viel besser wir anderen mit diesen Dingen fertig werden konnten. Er war einsam mitten unter uns. Er fühlte und wusste mehr als wir. Er begann zu trinken. Gut, das taten wir alle. Unsere Wanderungen in den Wäldern mit den läutenden Weinflaschen in den Rucksäcken, unsere Lager auf dem Kreuzweg in Gumpoldskirchen sind Legende. Aber er, Roland trank aus Verzweiflung. Er hasste es, hier leben zu müssen, bei den Satten, den Zufriedenen, den Sorglosen. Oft lag er betrunken und weinend am Boden und schien - sich windend - den Schmerz der ganzen Welt in sich zu tragen. All unser gutes Zureden nützte nichts. Wenn wir ihm sagten, seine Traurigkeit helfe niemandem, dann steigerte das nur seine Verzweiflung.

Schließlich kam er mit Drogen in Berührung und griff nach ihnen wie nach einem Rettungsanker. Seine Freundin schien da entsprechende Verbindungen zu haben. Ein sehr hübsches Mädchen, das uns anderen aber immer fremd blieb. Er trampte mit ihr Richtung Süden. Lange hörte man nichts mehr von ihm, bis er sich eines Tages wieder bei uns meldete. Ich freute mich, ihn gesund und munter zu sehen. Auch sein Mädchen war guter Dinge. Allerdings hatten sie beide diese Drogenaura. Eine leichte Unsicherheit beim Sprechen, kleine Pupillen, sehr mager, ja zerbrechlich. Er wirkte zufrieden wie jemand, der seinen Weg gefunden hat. Ich fürchte aber, er glaubte das nur. Wo er jetzt wohl sein mag? Lebt er noch, hat er es geschafft? Ist was aus ihm geworden? Was heißt das überhaupt "er hat es geschafft"? und "es ist was aus ihm geworden?"

So wie ihm ging es damals vielen, die mit Liebe die Welt besser machen wollten und die an ihrer Machtlosigkeit zerbrachen. Aber auch jene, die mit der Waffe in der Hand für eine bessere Welt kämpften, die RAF in Deutschland, die Roten Brigaden in Italien. Sie alle wollten einmal das Beste. Auch sie sind einmal Kinder gewesen. Mit Hoffnungen, Wünschen und Erwartungen. Viele von ihnen mögen auch einmal unter dem Weihnachtsbaum gesessen sein. Hatten Eltern, die sie liebten. Ulrike Meinhof war einmal eine bekannte und allgemein respektierte Journalistin, die für den Frieden eintrat. Was ist da passiert?

Warum bin gerade ich vor solchen Wegen verschont geblieben? Warum fiel gerade für mich die Waagschale zu Gunsten des Spruchs eines Sängers in Woodstock aus, der lautet:
"There´s always a little bit of heaven in a disaster area"

Karl Wagner

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