Montag, 5. März 2018

Wahl(nicht)anfechtung NÖ Landtagswahl 2018





Die Grünen haben den Wiedereinzug in den NÖ Landtag geschafft. Das ist doch gut, oder?

Genau das, was wir uns gewünscht bzw. erhofft hatten, oder?

Ja, das stimmt.

Was wir allerdings auch erwartet haben, war ein korrekter Ablauf der Wahl. Das darf, so meinen wir, jede Bürgerin und jeder Bürger in Niederösterreich erwarten.


Diese Erwartung wurde offensichtlich nicht erfüllt.

Die Landtagswahl NÖ war mit ziemlicher Sicherheit nicht verfassungskonform. Grund: ein überstürzt beschlossenes Gesetz, wonach die Gemeinden gezwungen wurden, mehr oder weniger willkürlich Entscheidungen über das Wahlrecht von BürgerInnen mit Zweitwohnsitz zu treffen. Eine Anfechtung der Wahl war für die Grünen unter anderem aus finanziellen Gründen nicht möglich. Lesen Sie hier die Hintergründe.

 

Wer ist in NÖ bei Landtagswahlen wahlberechtigt?

  • Menschen mit Hauptwohnsitz
  • Menschen mit Nebenwohnsitz in NÖ
Gleiches gilt für Gemeinderatswahlen. Das ist neben NÖ nur noch im Burgenland so.


Ist es gerecht, dass in NÖ NebenwohnsitzerInnen wahlberechtigt sind?


Ein Grundpfeiler des verfassungsmäßigen Wahlrechts ist das Prinzip des gleichen Wahlrechts.
Es hat zu gelten: eine Person, eine Stimme.

Dieses Recht wird, bezogen auf den Bundesrat, durch die Zweitwohnsitzregelung gebrochen. Über die Landtage werden je nach Ergebnis einer Landtagswahl, Bundesräte in den Bundesrat entsandt.
So gilt die Stimme von jemandem der sowohl in NÖ wie auch in einem anderen Bundesland wählt mindestens zwei mal für die Zusammensetzung des Bundesrates.

Die Grünen versuchen seit Jahren, diese Regelung über ihre Arbeit im Landtag, zu ändern. Bisher ohne Erfolg.


Wahlberechtigung der NebenwohnsitzerInnen sollte überprüft werden 

 

Im Sommer 2017 hatte die ÖVP unter der neuen Landeshauptfrau Mikl-Leitner die Idee, das Wahlrecht von NebenwohnsitzerInnen zu überprüfen.

Das sogenannte Landesbürgerevidenzgesetz wurde dazu geschaffen um genauer zu definieren, welche Personen in NÖ wahlberechtigt sein sollen.
Das klingt ja soweit ganz vernünftig.

Das Gesetz ist mangelhaft

 

Das Gesetz weist lt. Experten gravierende Mängel auf. Die Grünen haben von Anfang an auf diese Mängel hingewiesen, diese laufend kritisiert und angemerkt, dass sie zu einer Wahlanfechtung führen könnten. Hier der Link zu einem der zahlreichen Presseartikel dazu.

Die Gemeinden wurden danach angewiesen, NebenwohnsitzerInnen anzuschreiben und ihnen einen Fragebogen zuzusenden. Anhand der beantworteten Fragen sollten die BürermeisterInnen entscheiden, welche Menschen in der sogenannten Wählerevidenz bleiben und somit wahlberechtigt sind.

Den Gemeinden wurde kein Regelwerk mitgegeben, wie die Antworten zu bewerten sind. Es wurden lediglich mehrere, teilweise widersprüchliche Weisungen an die Gemeinden geschickt. Eine dieser Weisungen lautete z.B., dass ein Nichtzurücksenden des Fragebogens keinesfalls automatisch zum Streichen einer Person aus der Wählerevidenz führen dürfe. Beamte kritisierten das Gesetz ebenfalls.

Das Fehlen eines Regelwerks hat, vereinfacht gesagt, unter anderem dazu geführt, dass Gemeinden völlig unterschiedlich entschieden haben, wer wählen darf und wer nicht. 

Hier einige Beispiele:
Retz: 850 Nebenwohnsitze wurden überprüft, 350 wurden gestrichen
St.Pölten: keine einzige Person wurde gestrichen
Semmering: 600 Leute wurden angeschrieben, alle die nicht geantwortet haben, wurden gestrichen (trotz der oben erwähnten Weisung, dass ein Nichtretournieren keinesfalls zu einer Streichung führen dürfe).
Würflach: von 230 geprüften Nebenwohnsitzen wurde niemand gestrichen

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass in Biedermannsdorf die Bürgermeisterin sowie der zuständige Mitarbeiter am Gemeindeamt in höchstem Maße gewissenhaft vorgegangen sind. Bei uns wurden lediglich Personen aus der Wählerevidenz gestrichen, deren Meldung quasi irgendwann im Melderegister vergessen wurden.


Zahlreiche Menschen meldeten sich nach der Wahl bei den Grünen

 

Nach der Wahl haben sich einige hundert Menschen, die nicht wählen durften, bei den Grünen gemeldet.

Es gab verschiedene Typen von Fällen:
  • Ehepaare, ein Partner wahlberechtigt, der andere nicht.
  • Menschen, die erst im Wahllokal über eine Streichung informiert wurden
  • BürgerInnen wurden im Wahllokal abgewiesen, die zuvor am Gemeindeamt die Wahlberechtigung bestätigt bekommen hatten

Grüne ließen Fälle prüfen

 

Aufgrund dieser zahlreichen Beschwerden ließen die Grünen NÖ diese Fälle von Rechtsanwalt Dr. Heinrich Vana prüfen und in Abstimmung mit Dr. Bernd Christian Funk ein Gutachten erstellen.
Hier können sie nachhören, wie Dr. Vana, den Ablauf der Landtagswahl beurteilt.


Wahl laut Gutachten verfassungswidrig

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es eindeutig massive Unterschiede in der Beurteilung des Wahlrechts gab. Es gab, vereinfacht gesagt, sehr viele Menschen, die zu Unrecht nicht wählen durften wie auch sehr viele Menschen, die zu Unrecht wählen durften.

Unsere Anwälte kommen daher zu dem Schluss, dass die Wahl mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig war.


Warum fechten die Grünen die Wahl nicht an?

 

Die Entscheidung, ob die Grünen die Wahl anfechten, war aus verschiedenen Gründen schwierig und unsere Landessprecherin Helga Krismer hat diese Entscheidung den Landesausschuss treffen lassen. In dem Gremium haben 2/3 der Stimmberechtigten gegen eine Anfechtung gestimmt. Helga Krismer fasst in dieser Pressekonferenz zusammen, was die Gründe für die Ablehnung waren.
  • Eine Neuwahl würde nur der ÖVP NÖ helfen, da nur diese auch über entsprechende ​Mittel für eine neuerliche Wahl verfügt.
  • Eine Anfechtung bedeutet für die anfechtende Partei ein erhöhtes Risiko, die Rechnung für die Anfechtung präsentiert zu bekommen.
  • Das finanzielle Risiko einerseits für die Grünen Niederösterreich, die die Sanierung der Bundesgrünen mittragen und andererseits für die Klubobfrau Helga Krismer selbst, die wiederum für einen Betriebsmittelkredit haften müsste. 

 

Wie geht es weiter?

 

Die Grünen NÖ werden in der konstituierenden ​Landtagssitzung am 22. März einen entsprechenden Antrag aufgrund des oben angesprochenen Gutachtens zur Reparatur des Landesbürgerevidenzgesetzes einbringen. Da dieses Gesetz auch die kommenden Gemeinderatswahlen 2020 betrifft, darf diese Wahl nicht auf der aktuellen "verfassungswidrigen" Grundlage stattfinden, sondern die ÖVP NÖ ist rasch gefordert, ein verfassungskonformes Gesetz für die Gemeinderatswahl zu verabschieden.

Interessante Wendung

 

In der Zwischenzeit wurde bekannt, dass die wahlwerbende Partei "Wir für Niederösterreich" die Wahl vor wenigen Tagen angefochten hat. Neben anderen Gründen führen sie in der Begründung an, dass in Gemeinden unterschiedlich über das Wahlrecht entschieden wurde.

Die Sache bleibt also weiterhin spannend. Sollte der Verfassungsgerichtshof der Anfechtung stattgeben und die Wahl aufheben, wird es möglicherweise im Herbst eine Neuwahl geben.




Grüne kritisieren Nebenwohnsitz Wahlrecht: http://noe.orf.at/news/stories/2872086/

https://noe.gruene.at/themen/demokratie/wir-fechten-die-landtagswahl-vom-28-jaenner-nicht-an

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