Mittwoch, 25. September 2019

Das Mercosur-Abkommen und wir

Vizebürgermeister Gerhard Wannemacher (links) eröffnet die Diskussionsveranstaltung
über das geplante Mercosur- Abkommen mit Michel Reimon.

Der derzeit vorliegende Entwurf des Mercosur- Abkommens spricht dafür, das Abkommen abzulehnen. Eine sehr schmale Schicht superreicher Landbarone in Südamerika, die europäische Auto- und Chemieindustrie und die Transportwirtschaft wären die großen Gewinner, bezahlen würden die Landwirte in der EU, die Natur in Südamerika und weltweit sowie die Konsumenten durch Nahrungsmittel verminderter Qualität.

Michel Reimon, Abgeordneter der österreichischen Grünen im EU-Parlament der vorigen Legislaturperiode, hat sich in dieser Zeit intensiv mit den verschiedenen Freihandelsverträgen, die die EU verhandelt hat, befasst (TTIP, CETA). Am 23. September hat er auf Einladung der Grünen in Mödling über das Mercosur-Abkommen vorgetragen und sich einer Publikumsdiskussion gestellt. Die wesentlichen Erkenntnisse daraus in Frage-Antwortform:

Frage: Was ist das Mercosur-Abkommen?
Antwort: Das Mercosur-Abkommen soll ein Freihandelsvertrag zwischen der EU und einem Zusammenschluss mehrerer südamerikanischer Staaten werden, in denen auf einer Fläche von 72% der Gesamtfläche Südamerikas etwa 260 Millionen Menschen leben und die zusammen einen Binnenmarkt mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 1 Billion Dollar darstellen. Der Wert der Exporte beträgt derzeit etwa 200 Milliarden Doller, importiert werden etwa 130 Milliarden Doller jährlich.

Frage: Ist das Abkommen schon im Detail ausverhandelt?
Antwort: Nein. Derzeit liegt eine relativ kurze Zusammenfassung der bisherigen Vereinbarungen  für die Entscheidungsträger in der Politik vor.

Frage: Was ist der Inhalt des geplanten Abkommens?
Antwort: Im Gegensatz zu TTIP und CETA kann man das hier relativ einfach beschreiben. Es enthält keine Investitionsschutzabkommen oder -schiedsgerichte. Für etwa 95% aller Waren sollen
zwischen den Mercosurstaaten und der EU sämtliche Zölle und Mengenbeschränkungen aufgehoben werden. Es gibt allerdings einige Ausnahmen, und man muss auch berücksichtigen, dass für viele Produkte schon derzeit keine Zölle erhoben werden, etwa für Soja, das vor allem in Brasilien auf brandgerodeten Regenwaldflächen angebaut wird.

Frage: Um welche Produkte geht es hauptsächlich?
Antwort: Auf Seiten von Mercosur geht es fast ausschließlich um landwirtschaftliche Produkte, vor allem Soja, davon fast 100% genmanipuliert, und Fleisch. Die großen Gewinner auf Seite der EU werden die Autoindustrie und chemische Industrie (Pflanzenschutzmittel, Medikamente) sein, in beiden Bereichen hauptsächlich die Industrien in Deutschland. Derzeit sind etwa europäische Autos in Südamerika mit 30% Zoll belastet. Sie würden also durch das Abkommen um 23% billiger.

Frage: Wie groß ist das derzeitige Handelsvolumen zwischen der EU und Mercosur?
Antwort: Das lag 2018 in jeder Richtung bei etwa 45 Milliarden Euro, wobei die EU um etwa 3 Milliarden mehr exportiert als importiert hat. Österreich hat 2018 in diese Länder Waren im Wert von etwa 1 Milliarde Euro exportiert und daraus um 640 Million importiert.

Frage: Was sind aus ihrer Sicht die Hauptkritikpunkte am derzeitigen Vertragsentwurf?
Antwort: Der Vertrag ist in vielen Details noch nicht ausverhandelt. So ist zum Beispiel bei Fleischexporten aus Mercosur in die EU eine jährlich steigende Mengenbegrenzung für die ersten 6 Jahre vorgesehen. Was danach kommt ist vollkommen offen. Es ist unklar, ob der zuletzt erreichte Wert weiterhin gelten soll oder die bis dahin vereinbarte Steigerungsrate oder auch, ob es danach überhaupt keine Mengenbegrenzung mehr geben wird. Österreich hat bei Rindfleisch einen Eigenversorgungsgrad von 140%. Wir brauchen also keinen zusätzlichen Import, sondern müssen bereits heute unseren Überschuss exportieren, was schon schwer genug ist. Wenn nun Mercosur die EU mit billigst produziertem Rindfleisch überschwemmt, werden die Preise verfallen und unsere Fleischexporte praktisch verunmöglicht. Das hätte drastische Auswirkungen auf unsere  Landwirtschaft und auf die Landwirtschaft in der ganzen EU. Zusätzlich drängt ja Donald Trump  auch darauf, dass die EU mehr Rindfleisch aus den USA importiert,  und mit Blick auf Gesundheits- und Umweltschäden essen wir ohnehin schon zu viel Fleisch.

Frage: Warum kann in den Mercosurstaaten so billig produziert werden?
Antwort: Es wird dort rücksichtslos Regenwald gerodet, damit werden enorme Umweltschäden produziert, die sich auf das gesamte Weltklima auswirken werden, und die indigene Bevölkerung wird von dort brutal vertrieben oder ermordet. Die Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards sind also mit denen in der EU überhaupt nicht vergleichbar. Dazu kommt, dass der Transport der Produkte über den Atlantik alles andere als umweltfreundlich ist. Eine sehr schmale Schicht superreicher Landbarone in Südamerika, die europäische Auto- und Chemieindustrie und die Transportwirtschaft  wären die großen Gewinner, bezahlen würden die Landwirte in der EU, die Natur in Südamerika und weltweit sowie die Konsumenten durch Nahrungsmittel mit verminderter Qualität.

Frage: Aber man liest doch, dass in den Abkommen auch der Schutz des Regenwaldes vereinbart ist.
Antwort: Vereinbart ist tatsächlich, dass das Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten werden und sogar Wald aufgeforstet werden soll. Das steht allerdings nur auf dem Papier. Wenn sich eine Seite, etwa Mercosur, daran nicht hält, gibt es außer der Feststellung der Vertragsverletzung durch eine Kommission überhaupt keine Sanktionsmaßnahmen. Damit ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Frage: Aber kann man das nicht noch in den Vertrag hineinverhandeln?
Antwort: Praktisch nein. Dazu muss man wissen, dass die EU-Kommission nur auf Basis eines streng definierten Verhandlungsmandats durch das EU-Parlament mit Mercosur verhandeln darf. Für  Zusatzforderungen gibt es kein Verhandlungsmandat. Ein solches würde Einstimmigkeit auf Seite der EU erfordern, und Einstimmigkeit in der EU ist derzeit extrem schwer erreichbar.

Frage: Aber Österreich hat doch beschlossen, Mercosur nicht zuzustimmen und damit den Vertrag zu blockieren.
Antwort: Richtig ist, dass der EU-Unterausschuss des Nationalrats vor kurzem die Regierung verpflichtet hat, bei EU Ratstagungen gegen den vorliegenden Vertragsentwurf zu stimmen. Aber der endgültig ausgehandelte Vertrag steht ja noch gar nicht zur Abstimmung. Und erstens könnte ein neu gewählter Nationalrat dieses Verbot auch wieder kippen, und zweitens wäre es sogar möglich, dass sich die Regierung einfach nicht an dieses Verbot hält und dem endgültigen Vertrag trotzdem zustimmt. Sie könnte sich juristisch vollkommen sanktionslos mit einer „Abstimmungspanne“ oder einem Irrtum herausreden.

Frage: Aber muss der Vertrag nicht nur von der EU, sondern danach auch von den einzelnen Mitgliedsstaaten einstimmig angenommen werden?
Antwort: Ja, das ist richtig. Aber wir haben bei CETA, das ja von Österreich letztlich angenommen wurde, gesehen, welcher Druck innerhalb der EU auf Abweichler ausgeübt wurde und wie wankelmütig manche österreichischen Parteien agieren.

Frage: Sind die Grünen mit ihrer Ablehnung des Mercosurvertrags also gegen freien Handel?
Antwort: Keineswegs. Aber freier Handel ist nur unter gleichen Bedingungen möglich. Die EU hätte also sagen können: „Wir wollen gerne mit euch Handel treiben, wenn ihr eure Sozial- und Umweltstandards und euer Lohnniveau an unsere höheren Standards angepasst und dadurch die Lebensqualität für eure Bevölkerung erhöht habt. Und wir werden auch helfen, diese Anpassungen durchzuführen.“ Man muss aber auch sagen, dass dann, unter diesen Voraussetzungen, die Produktionskosten in Südamerika ziemlich gleich mit jenen in der EU wären. Wenn dann noch die tatsächlichen Kosten der Transporte, etwa unter Berücksichtigung der Umweltbelastung, berücksichtigt würden, würde sich Handel von Gütern die sowohl hier wie dort produziert werden können, über solche Distanzen weitgehend erübrigen.

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